“Kapitel: »Der ECHO 2008«
(…) Gegen sechs Uhr ging dann die Musik aus und wir machten uns auf
den Heimweg. Seit langer Zeit war das mal wieder eine Party, auf der
ich bis zum Schluss geblieben war. Das will was heißen. Arafat, Kay,
Nyze und ich hatten noch Hunger und wir fuhren nach Schöneberg, Köfte
essen. Morgens um halb sieben. Ein Hoch auf Berlin!
Ich lag später in meinem Bett noch lange wach. Zu viele Gedanken
schwirrten in meinem Kopf umher. An diesem Abend hatte ich mal wieder
gemerkt, wie verlogen unsere Gesellschaft doch in Wahrheit ist. Noch
vor wenigen Wochen war ich der asoziale Proll-Rapper gewesen, der mit
seinen schlimmen Texten die Gedanken der Kinder verseuchte. Dann
gewinne ich zwei ECHOS und bin plötzlich Everybody’s Darling, den jeder
gern mal anfassen möchte. Das konnte doch alles nicht wahr sein! In was
für einer Welt leben wir eigentlich? Ich erinnerte mich an die Talkshow
3 nach 9 des Senders Radio Bremen, zu der ich Ende Januar eingeladen
worden war. Wie es in solchen Gesprächsrunden üblich ist, erzählte
jeder Gast seine Geschichte und alle plauderten friedlich miteinander.
Als ich an der Reihe war, hagelte es Kritik von allen Seiten. Ich wäre
kein Vorbild für die Jugend, bla bla
bla, das übliche langweilige Geschwätz, das ich schon seit Jahren
kenne. Nie hatte ich das Gefühl, dass sich diese Menschen wirklich für
mich interessierten, es war viel eher so, dass sie verzweifelt
versuchten, mich in die Enge zu treiben. Selbst die Moderatorin der
Sendung sagte, dass sie meine Texte langweilig finde. »Kennst du einen,
kennst du alle«, meinte sie
doch tatsächlich zu mir. Das war natürlich ihr gutes Recht, obwohl sie
als Journalistin doch eigentlich eine eher neutrale Haltung haben
sollte, um den Zuschauern die Möglichkeit zu lassen, sich selbst eine
Meinung zu bilden. Im Prinzip finde ich es in Ordnung, wenn die Leute
einen Standpunkt haben und dazu auch stehen, aber dann sollen sie bitte
nicht nach der Sendung, wenn die Kameras aus sind, zu mir kommen und
nach Autogrammen für ihre Kinder fragen. Ohne Worte! Ich kann es bis
heute nicht nachvollziehen, warum so wenige Menschen die Eier haben, zu
ihrer Meinung zu stehen, auch
öffentlich. Man kann über Dieter Bohlen denken, was man will, aber er
ist einer der wenigen, die wirklich sagen, was sie denken. Dafür
bekommt er meinen vollsten Respekt. Mal ehrlich: Was interessiert mich
die Meinung anderer Leute, die, wenn es hart auf hart kommt, doch einen
Dreck auf mich geben? Und wenn mir gewisse Medien attestieren,
nach dem ECHO in eine höhere Promi-Liga aufgestiegen zu sein, dann geht
das links rein und rechts raus. Wo waren sie denn, als ich wirklich
ihre Unterstützung gebraucht hätte? Wo werden sie sein, wenn ich
vielleicht eines Tages nicht mehr so viele Platten verkaufe? Garantiert
überall, außer bei mir. Nur weil irgendwelche Chefredakteure plötzlich
der Meinung sind, dass ich
irgendwo angekommen bin, heißt das noch lange nicht, dass ich vergesse,
wo ich herkomme und dass ich der nette Gangster-Rapper von nebenan war.
Niemals! Ruhm ist so was von vergänglich. Das vergessen die meisten
Menschen viel zu schnell. Schon bald werden nämlich genau die Leute,
die mich heute angeblich feiern,
versuchen, mich öffentlich zu opfern. Deswegen bemühe ich mich erst gar
nicht, solche Leute an mich rankommen zu lassen. Udo Kier hatte schon
recht, als er bei 3 nach 9 sagte, dass ich in meinen Texten der
Gesellschaft doch lediglich den berühmten Spiegel vorhalten würde und
man mich nicht für den mangelnden Intellekt der Kritiker verantwortlich
machen könne. So sieht’s aus. Drauf geschissen! Zum Glück fielen mir
irgendwann die Augen zu. Trotzdem schlief ich nur wenige Stunden. Um 14
Uhr stand ich auf und
zockte den ganzen Samstagnachmittag World of Warcraft. Am Abend ging
ich rüber zu meiner Mutter, die mich mit offenen Armen und stolz wie
Oscar in die Arme nahm. Mein Bruder kam auch noch dazu. Das war mal
wieder einer dieser wenigen schönen Momente im Leben, nach denen ich
mich so sehr sehne. Bei all dem Alltag, der mittlerweile bei
mir eingekehrt ist, vor allem was Auszeichnungen, Preise, Goldene
Schallplatten und diesen ganzen Kram angeht, hat sich meine Mama noch
genauso gefreut wie am ersten Tag.
»Mensch, Bub«, sagte sie. »Wenn ich mir überlege, wie das mit dir
damals alles angefangen hat. Als noch keiner wusste, was aus dir wird.«
»Ja, Mama. Wer hätte das gedacht?«
»Ich wusste es immer, mein Schatz!«, sagte sie und gab mir einen Kuss
auf die Stirn. Ich schaute meine Mama an, wie sie zufrieden und
glücklich mit ihrer alten Lieblingsdecke auf der Couch im Wohnzimmer
lag und mich aus vollem Herzen anstrahlte.
»Ach, Mama, das ist schon komisch. Irgendwie bin ich für die Leute da
draußen ein Superstar, dabei führen wir doch ein ganz normales Leben.
Guck dich doch mal um! Was ist denn daran so besonders?« ,sagte ich
mehr zu mir selbst.
Dann stand ich auf, wünschte meiner Mutter eine gute Nacht und ging
wieder zu mir. Da saß ich nun, als frisch gebackener zweifacher
ECHO-Gewinner 2008 – allein in meiner kleinen Wohnung. Niemand war da.
Ich schaute zu dem Glastisch, auf dem sich all meine Preise stapelten:
vier ECHOS, zwei MTV Europe Music Awards, ein Goldener BRAVO-Otto, ein
Silberner BRAVO-Otto, zwei Goldene Pinguine, ein VIVA-Comet… Manchmal
fühle ich mich wie der Hauptdarsteller in meinem eigenen Film. Ich gehe
zum ECHO, spiele meine Rolle und am Abend kehre ich zurück in mein
wirkliches Leben. Jedenfalls kommt es mir oft so vor. Es ist schon
eigenartig, Bushido zu sein (…)”