Friedrich Nietzsche
Also sprach Zarathustra (Kapitel 36-71)
                                          Von den Mitleidigen

    Meine Freunde, es kam eine Spottrede zu eurem Freunde: »seht nur Zarathustra! Wandelt er nicht unter uns wie unter Thieren?«

    Aber so ist es besser geredet: »der Erkennende wandelt unter Menschen als unter Thieren.«

    Der Mensch selber aber heisst dem Erkennenden: das Thier, das rothe Backen hat.

    Wie geschah ihm das? Ist es nicht, weil er sich zu oft hat schämen müssen?

    Oh meine Freunde! So spricht der Erkennende: Scham, Scham, Scham – das ist die Geschichte des Menschen!

    Und darum gebeut sich der Edle, nicht zu beschämen: Scham gebeut er sich vor allem Leidenden.

    Wahrlich, ich mag sie nicht, die Barmherzigen, die selig sind in ihrem Mitleiden: zu sehr gebricht es ihnen an Scham.

    Muss ich mitleidig sein, so will ich's doch nicht heissen; und wenn ich's bin, dann gern aus der Ferne.

    Gerne verhülle ich auch das Haupt und fliehe davon, bevor ich noch erkannt bin: und also heisse ich euch thun, meine Freunde!

    Möge mein Schicksal mir immer Leidlose, gleich euch, über den Weg führen, und Solche, mit denen mir Hoffnung und Mahl und Honig gemein sein darf!

    Wahrlich, ich that wohl Das und jenes an Leidenden: aber Besseres schien ich mir stets zu thun, wenn ich lernte, mich besser freuen.

    Seit es Menschen giebt, hat der Mensch sich zu wenig gefreut: Das allein, meine Brüder, ist unsre Erbsünde!
    Und lernen wir besser uns freuen, so verlernen wir am besten, Andern wehe zu thun und Wehes auszudenken.

    Darum wasche ich mir die Hand, die dem Leidenden half, darum wische ich mir auch noch die Seele ab.

    Denn dass ich den Leidenden leidend sah, dessen schämte ich mich um seiner Scham willen; und als ich ihm half, da vergieng ich mich hart an seinem Stolze.

    Grosse Verbindlichkeiten machen nicht dankbar, sondern rachsüchtig; und wenn die kleine Wohlthat nicht vergessen wird, so wird noch ein Nage-Wurm daraus.

    »Seid spröde im Annehmen! Zeichnet aus damit, dass ihr annehmt!« – also rathe ich Denen, die Nichts zu verschenken haben.

    Ich aber bin ein Schenkender: gerne schenke ich, als Freund den Freunden. Fremde aber und Arme mögen sich die Frucht selber von meinem Baume pflücken: so beschämt es weniger.

    Bettler aber sollte man ganz abschaffen! Wahrlich, man ärgert sich ihnen zu geben und, ärgert sich ihnen nicht zu geben.

    Und insgleichen die Sünder und bösen Gewissen! Glaubt mir, meine Freunde: Gewissensbisse erziehn zum Beissen.

Das Schlimmste aber sind die kleinen Gedanken. Wahrlich, besser noch bös gethan, als klein gedacht!

    Zwar ihr sagt: »die Lust an kleinen Bosheiten erspart uns manche grosse böse That.« Aber hier sollte man nicht sparen wollen.

    Wie ein Geschwür ist die böse That: sie juckt und kratzt und bricht heraus, – sie redet ehrlich.

    »Siehe, ich bin Krankheit« – so redet die böse That; das ist ihre Ehrlichkeit.

    Aber dem Pilze gleich ist der kleine Gedanke: er kriecht und duckt sich und will nirgendswo sein – bis der ganze Leib morsch und welk ist vor kleinen Pilzen.
    Dem aber, der vom Teufel besessen ist, sage ich diess Wort in's Ohr: »besser noch, du ziehest deinen Teufel gross! Auch für dich giebt es noch einen Weg der Grösse!« –

    Ach, meine Brüder! Man weiss von Jedermann Etwas zu viel! Und Mancher wird uns durchsichtig, aber desshalb können wir noch lange nicht durch ihn hindurch.

    Es ist schwer, mit Menschen zu leben, weil Schweigen so schwer ist.

    Und nicht gegen Den, der uns zuwider ist, sind wir am unbilligsten, sondern gegen Den, welcher uns gar Nichts angeht.

    Hast du aber einen leidenden Freund, so sei seinem Leiden eine Ruhestätte, doch gleichsam ein hartes Bett, ein Feldbett: so wirst du ihm am besten nützen.

    Und thut dir ein Freund Übles, so sprich: »ich vergebe dir, was du mir thatest; dass du es aber dir thatest, – wie könnte ich das vergeben!«

    Also redet alle grosse Liebe: die überwindet auch noch Vergebung und Mitleiden.

    Man soll sein Herz festhalten; denn lässt man es gehn, wie bald geht Einem da der Kopf durch!

    Ach, wo in der Welt geschahen grössere Thorheiten, als bei den Mitleidigen? Und was in der Welt stiftete mehr Leid, als die Thorheiten der Mitleidigen?

    Wehe allen Liebenden, die nicht noch eine Höhe haben, welche über ihrem Mitleiden ist!

    Also sprach der Teufel einst zu mir: »auch Gott hat seine Hölle: das ist seine Liebe zu den Menschen.«

    Und jüngst hörte ich ihn diess Wort sagen: »Gott ist todt; an seinem Mitleiden mit den Menschen ist Gott gestorben.« –

    So seid mir gewarnt vordem Mitleiden: daher kommt noch den Menschen eine schwere Wolke! Wahrlich, ich verstehe mich auf Wetterzeichen!
    Merket aber auch diess Wort: alle grosse Liebe ist noch über all ihrem Mitleiden: denn sie will das Geliebte noch – schaffen!

    »Mich selber bringe ich meiner Liebe dar, und meinen Nächsten gleich mir« – so geht die Rede allen Schaffenden.

    Alle Schaffenden aber sind hart. –

    Also sprach Zarathustra.

                                      Von den Priestern

    Und einstmals gab Zarathustra seinen Jüngern ein Zeichen und sprach diese Worte zu ihnen:

    »Hier sind Priester: und wenn es auch meine Feinde sind, geht mir still an ihnen vorüber und mit schlafendem Schwerte!

    Auch unter ihnen sind Helden; Viele von ihnen litten zuviel –: so wollen sie Andre leiden machen.

    Böse Feinde sind sie: Nichts ist rachsüchtiger als ihre Demuth. Und leicht besudelt sich Der, welcher sie angreift.

    Aber mein Blut ist mit dem ihren verwandt; und ich will mein Blut auch noch in dem ihren geehrt wissen.« –

    Und als sie vorüber gegangen waren, fiel Zarathustra der Schmerz an; und nicht lange hatte er mit seinem Schmerze gerungen, da hub er also an zu reden:

    Es jammert mich dieser Priester. Sie gehen mir auch wider den Geschmack; aber das ist mir das Geringste, seit ich unter Menschen bin.

    Aber ich leide und litt mit ihnen: Gefangene sind es mir und Abgezeichnete. Der, welchen sie Erlöser nennen, schlug sie in Banden: –

    In Banden falscher Werthe und Wahn-Worte! Ach dass Einer sie noch von ihrem Erlöser erlöste!

    Auf einem Eilande glaubten sie einst zu landen, als das Meer sie herumriss; aber siehe, es war ein schlafendes Ungeheuer!

    Falsche Werthe und Wahn-Worte: das sind die schlimmsten Ungeheuer für Sterbliche, – lange schläft und wartet in ihnen das Verhängniss.

    Aber endlich kommt es und wacht und frisst und schlingt, was auf ihm sich Hütten baute.

    Oh seht mir doch diese Hütten an, die sich diese Priester bauten! Kirchen heissen sie ihre süssduftenden Höhlen.

    Oh über diess verfälschte Licht, diese versumpfte Luft! Hier, wo die Seele zu ihrer Höhe hinauf – nicht fliegen darf!

    Sondern also gebietet ihr Glaube: »auf den Knien die Treppe hinan, ihr Sünder!«

    Wahrlich, lieber sehe ich noch den Schamlosen, als die verrenkten Augen ihrer Scham und Andacht!

    Wer schuf sich solche Höhlen und Buss-Treppen? Waren es nicht Solche, die sich verbergen wollten und sich vor dem reinen Himmel schämten?

    Und erst wenn der reine Himmel wieder durch zerbrochne Decken blickt, und hinab auf Gras und rothen Mohn an zerbrochnen Mauern, – will ich den Stätten dieses Gottes wieder mein Herz zuwenden.

    Sie nannten Gott, was ihnen widersprach und wehe that: und wahrlich, es war viel Helden-Art in ihrer Anbetung!

    Und nicht anders wussten sie ihren Gott zu lieben, als indem sie den Menschen an's Kreuz schlugen!

    Als Leichname gedachten sie zu leben, schwarz schlugen sie ihren Leichnam aus; auch aus ihren Reden rieche ich noch die üble Würze von Todtenkammern.

    Und wer ihnen nahe lebt, der lebt schwarzen Teichen nahe, aus denen heraus die Unke ihr Lied mit süssem Tiefsinne singt.

    Bessere Lieder müssten sie mir singen, dass ich an ihren Erlöser glauben lerne: erlöster müssten mir seine jünger aussehen!

    Nackt möchte ich sie sehn: denn allein die Schönheit sollte Busse predigen. Aber wen überredet wohl diese vermummte Trübsal!

    Wahrlich, ihre Erlöser selber kamen nicht aus der Freiheit und der Freiheit siebentem Himmel! Wahrlich, sie selber wandelten niemals auf den Teppichen der Erkenntniss!

    Aus Lücken bestand der Geist dieser Erlöser; aber in jede Lücke hatten sie ihren Wahn gestellt, ihren Lückenbüsser, den sie Gott nannten.

    In ihrem Mitleiden war ihr Geist ertrunken, und wenn sie schwollen und überschwollen von Mitleiden, schwamm immer obenauf eine grosse Thorheit.

    Eifrig trieben sie und mit Geschrei ihre Heerde über ihren Steg: wie als ob es zur Zukunft nur Einen Steg gäbe! Wahrlich, auch diese Hirten gehörten noch zu den Schafen!

    Kleine Geister und umfängliche Seelen hatten diese Hirten: aber, meine Brüder, was für kleine Länder waren bisher auch die umfänglichsten Seelen!

    Blutzeichen schrieben sie auf den Weg, den sie giengen, und ihre Thorheit lehrte, dass man mit Blut die Wahrheit beweise.

    Aber Blut ist der schlechteste Zeuge der Wahrheit; Blut vergiftet die reinste Lehre noch zu Wahn und Hass der Herzen.

    Und wenn Einer durch's Feuer geht für seine Lehre, – was beweist diess! Mehr ist's wahrlich, dass aus eignem Brande die eigne Lehre kommt!

    Schwüles Herz und kalter Kopf: wo diess zusammentrifft, da entsteht der Brausewind, der »Erlöser«.

    Grössere gab es wahrlich und Höher-Geborene, als Die, welche das Volk Erlöser nennt, diese hinreissenden Brausewinde!

    Und noch von Grösseren, als alle Erlöser waren, müsst ihr, meine Brüder, erlöst werden, wollt ihr zur Freiheit den Weg finden!

    Niemals noch gab es einen Übermenschen. Nackt sah ich Beide, den grössten und den kleinsten Menschen: –

    Allzuähnlich sind sie noch einander. Wahrlich, auch den Grössten fand ich – allzumenschlich!

    Also sprach Zarathustra.

                                      Von den Tugendhaften

    Mit Donnern und himmlischen Feuerwerken muss man zu schlaffen und schlafenden Sinnen reden.

    Aber der Schönheit Stimme redet leise: sie schleicht sich nur in die aufgewecktesten Seelen.

    Leise erbebte und lachte mir heut mein Schild; das ist der Schönheit heiliges Lachen und Beben.

    Über euch, ihr Tugendhaften, lachte heut meine Schönheit. Und also kam ihre Stimme zu mir: »sie wollen noch – bezahlt sein!«

    Ihr wollt noch bezahlt sein, ihr Tugendhaften! Wollt Lohn für Tugend und Himmel für Erden und Ewiges für euer Heute haben?

    Und nun zürnt ihr mir, dass ich lehre, es giebt keinen Lohn- und Zahlmeister? Und wahrlich, ich lehre nicht einmal, dass Tugend ihr eigener Lohn ist.

    Ach, das ist meine Trauer: in den Grund der Dinge hat man Lohn und Strafe hineingelogen – und nun auch noch in den Grund eurer Seelen, ihr Tugendhaften!

    Aber dem Rüssel des Ebers gleich soll mein Wort den Grund eurer Seelen aufreissen; Pflugschar will ich euch heissen.

    Alle Heimlichkeiten eures Grundes sollen an's Licht; und wenn ihr aufgewühlt und zerbrochen in der Sonne liegt, wird auch eure Lüge von eurer Wahrheit ausgeschieden sein.

    Denn diess ist eure Wahrheit: ihr seid zu reinlich für den Schmutz der Worte: Rache, Strafe, Lohn, Vergeltung.

    Ihr liebt eure Tugend, wie die Mutter ihr Kind; aber wann hörte man, dass eine Mutter bezahlt sein wollte für ihre Liebe?

    Es ist euer liebstes Selbst, eure Tugend. Des Ringes Durst ist in euch: sich selber wieder zu erreichen, dazu ringt und dreht sich jeder Ring.

    Und dem Sterne gleich, der erlischt, ist jedes Werk eurer Tugend: immer ist sein Licht noch unterwegs und wandert – und wann wird es nicht mehr unterwegs sein?

    Also ist das Licht eurer Tugend noch unterwegs, auch wenn das Werk gethan ist. Mag es nun vergessen und todt sein: sein Strahl von Licht lebt noch und wandert.

    Dass eure Tugend euer Selbst sei und nicht ein Fremdes, eine Haut, eine Bemäntelung: das ist die Wahrheit aus dem Grunde eurer Seele, ihr Tugendhaften! –

    Aber wohl giebt es Solche, denen Tugend der Krampf unter einer Peitsche heisst: und ihr habt mir zuviel auf deren Geschrei gehört!

    Und Andre giebt es, die heissen Tugend das Faulwerden ihrer Laster; und wenn ihr Hass und ihre Eifersucht einmal die Glieder strecken, wird ihre »Gerechtigkeit« munter und reibt sich die verschlafenen Augen.

    Und Andre giebt es, die werden abwärts gezogen: ihre Teufel ziehn sie. Aber je mehr sie sinken, um so glühender leuchtet ihr Auge und die Begierde nach ihrem Gotte.

    Ach, auch deren Geschrei drang zu euren Ohren, ihr Tugendhaften: was ich nicht bin, das, das ist mir Gott und Tugend!'

    Und Andre giebt es, die kommen schwer und knarrend daher, gleich Wägen, die Steine abwärts fahren: die reden viel von Würde und Tugend, – ihren Hemmschuh heissen sie Tugend!

    Und Andre giebt es, die sind gleich Alltags-Uhren, die aufgezogen wurden; sie machen ihr Tiktak und wollen, dass man Tiktak – Tugend heisse.

    Wahrlich, an Diesen habe ich meine Lust: wo ich solche Uhren finde, werde ich sie mit meinem Spotte aufziehn; und sie sollen mir dabei noch schnurren!

    nd Andre sind stolz über ihre Handvoll Gerechtigkeit und begehen um ihrerwillen Frevel an allen Dingen: also dass die Welt in ihrer Ungerechtigkeit ertränkt wird.

    Ach, wie übel ihnen das Wort »Tugend« aus dem Munde läuft! Und wenn sie sagen: »ich bin gerecht,« so klingt es immer gleich wie: »ich bin gerächt!«

    Mit ihrer Tugend wollen sie ihren Feinden die Augen auskratzen; und sie erheben sich nur, um Andre zu erniedrigen.

    Und wiederum giebt es Solche, die sitzen in ihrem Sumpfe und reden also heraus aus dem Schilfrohr: »Tugend – das ist still im Sumpfe sitzen.

    Wir beissen Niemanden und gehen Dem aus dem Wege, der beissen will; und in Allem haben wir die Meinung, die man uns giebt.«

    Und wiederum giebt es Solche, die lieben Gebärden und denken: Tugend ist eine Art Gebärde.

    Ihre Kniee beten immer an, und ihre Hände sind Lobpreisungen der Tugend, aber ihr Herz weiss Nichts davon.

    Und wiederum giebt es Solche, die halten es für Tugend, zu sagen: »Tugend ist nothwendig«; aber sie glauben im Grunde nur daran, dass Polizei nothwendig ist.

    Und Mancher, der das Hohe an den Menschen nicht sehen kann, nennt es Tugend, dass er ihr Niedriges allzunahe sieht: also heisst er seinen bösen Blick Tugend.

    Und Einige wollen erbaut und aufgerichtet sein und heissen es Tugend; und Andre wollen umgeworfen sein – und heissen es auch Tugend.

    Und derart glauben fast Alle daran, Antheil zu haben an der Tugend; und zum Mindesten will ein jeder Kenner sein über »gut« und »böse«.

    Aber nicht dazu kam Zarathustra, allen diesen Lügnern und Narren zu sagen: »was wisst ihr von Tugend! Was könntet ihr von Tugend wissen!« –

    Sondern, dass ihr, meine Freunde, der alten Worte müde würdet, welche ihr von den Narren und Lügnern gelernt habt:

    Müde würdet der Worte »Lohn,« »Vergeltung,« »Strafe,« »Rache in der Gerechtigkeit« –

    Müde würdet zu sagen: »dass eine Handlung gut ist, das macht, sie ist selbstlos.«

    Ach, meine Freunde! Dass euer Selbst in der Handlung sei, wie die Mutter im Kinde ist: das sei mir euer Wort von Tugend!

    Wahrlich, ich nahm euch wohl hundert Worte und eurer Tugend liebste Spielwerke; und nun zürnt ihr mir, wie Kinder zürnen.

    Sie spielten am Meere, – da kam die Welle und riss ihnen ihr Spielwerk in die Tiefe: nun weinen sie.

    Aber die selbe Welle soll ihnen neue Spielwerke bringen und neue bunte Muscheln vor sie hin ausschütten!

    So werden sie getröstet sein; und gleich ihnen sollt auch ihr, meine Freunde, eure Tröstungen haben – und neue bunte Muscheln! –

    Also sprach Zarathustra.

                                          Vom Gesindel

    Das Leben ist ein Born der Lust; aber wo das Gesindel mit trinkt, da sind alle Brunnen vergiftet.

    Allem Reinlichen bin ich hold; aber ich mag die grinsenden Mäuler nicht sehn und den Durst der Unreinen.

    Sie warfen ihr Auge hinab in den Brunnen: nun glänzt mir ihr widriges Lächeln herauf aus dem Brunnen.

    Das heilige Wasser haben sie vergiftet mit ihrer Lüsternheit; und als sie ihre schmutzigen Träume Lust nannten, vergifteten sie auch noch die Worte.

    Unwillig wird die Flamme, wenn sie ihre feuchten Herzen an's Feuer legen; der Geist selber brodelt und raucht, wo das Gesindel an's Feuer tritt.

    Süsslich und übermürbe wird in ihrer Hand die Frucht: windfällig und wipfeldürr macht ihr Blick den Fruchtbaum.

    Und Mancher, der sich vom Leben abkehrte, kehrte sich nur vom Gesindel ab: er wollte nicht Brunnen und Flamme und Frucht mit dem Gesindel theilen.

    Und Mancher, der in die Wüste gieng und mit Raubthieren Durst litt, wollte nur nicht mit schmutzigen Kameeltreibern um die Cisterne sitzen.

    Und Mancher, der wie ein Vernichter daher kam und wie ein Hagelschlag allen Fruchtfeldern, wollte nur seinen Fuss dem Gesindel in den Rachen setzen und also seinen Schlund stopfen.

    Und nicht das ist der Bissen, an dem ich am meisten würgte, zu wissen, dass das Leben selber Feindschaft nöthig hat und Sterben und Marterkreuze: –

    Sondern ich fragte einst und erstickte fast an meiner Frage: wie? hat das Leben auch das Gesindel nöthig?

    Sind vergiftete Brunnen nöthig und stinkende Feuer und beschmutzte Träume und Maden im Lebensbrode?

    Nicht mein Hass, sondern mein Ekel frass mir hungrig am Leben! Ach, des Geistes wurde ich oft müde, als ich auch das Gesindel geistreich fand!

    Und den Herrschenden wandt'ich den Rücken, als ich sah, was sie jetzt Herrschen nennen: schachern und markten um Macht – mit dem Gesindel!

    Unter Völkern wohnte ich fremder Zunge, mit verschlossenen Ohren: dass mir ihres Schacherns Zunge fremd bliebe und ihr Markten um Macht.

    Und die Nase mir haltend, gieng ich unmuthig durch alles Gestern und Heute: wahrlich, übel riecht alles Gestern und Heute nach dem schreibenden Gesindel!

    Einem Krüppel gleich, der taub und blind und stumm wurde: also lebte ich lange, dass ich nicht mit Macht- und Schreib- und Lust-Gesindel lebte.

    Mühsam stieg mein Geist Treppen, und vorsichtig; Almosen der Lust waren sein Labsal; am Stabe schlich dem Blinden das Leben.

    Was geschah mir doch? Wie erlöste ich mich vom Ekel? Wer verjüngte mein Auge? Wie erflog ich die Höhe, wo kein Gesindel mehr am Brunnen sitzt?

    Schuf mein Ekel selber mir Flügel und quellenahnende Kräfte? Wahrlich, in's Höchste musste ich fliegen, dass ich den Born der Lust wiederfände!

    Oh, ich fand ihn, meine Brüder! Hier im Höchsten quillt mir der Born der Lust! Und es giebt ein Leben, an dem kein Gesindel mit trinkt!

    Fast zu heftig strömst du mir, Quell der Lust! Und oft leerst du den Becher wieder, dadurch dass du ihn füllen willst!

    Und noch muss ich lernen, bescheidener dir zu nahen: allzuheftig strömt dir noch mein Herz entgegen: –

    Mein Herz, auf dem mein Sommer brennt, der kurze, heisse, schwermüthige, überselige: wie verlangt mein Sommer-Herz nach deiner Kühle!

    Vorbei die zögernde Trübsal meines Frühlings! Vorüber die Bosheit meiner Schneeflocken im Juni! Sommer wurde ich ganz und Sommer-Mittag!

    Ein Sommer im Höchsten mit kalten Quellen und seliger Stille: oh kommt, meine Freunde, dass die Stille noch seliger werde! Denn diess ist unsre Höhe und unsre Heimat: zu hoch und steil wohnen wir hier allen Unreinen und ihrem Durste. Werft nur eure reinen Augen in den Born meiner Lust, ihr Freunde! Wie sollte er darob trübe werden! Entgegenlachen soll er euch mit seiner Reinheit.

    Auf dem Baume Zukunft bauen wir unser Nest; Adler sollen uns Einsamen Speise bringen in ihren Schnäbeln!

    Wahrlich, keine Speise, an der Unsaubere mitessen dürften! Feuer würden sie zu fressen wähnen und sich die Mäuler verbrennen!

    Wahrlich, keine Heimstätten halten wir hier bereit für Unsaubere! Eishöhle würde ihren Leibern unser Glück heissen und ihren Geistern!

    Und wie starke Winde wollen wir über ihnen leben, Nachbarn den Adlern, Nachbarn dem Schnee, Nachbarn der Sonne: also leben starke Winde.

    Und einem Winde gleich will ich einst noch zwischen sie blasen und mit meinem Geiste ihrem Geiste den Athem nehmen: so will es meine Zukunft.

    Wahrlich, ein starker Wind ist Zarathustra allen Niederungen; und solchen Rath räth er seinen Feinden und Allem, was spuckt und speit: hütet euch gegen den Wind zu speien!"

    Also sprach Zarathustra.

                                          Von den Taranteln

    Siehe, das ist der Tarantel Höhle! Willst du sie selber sehn? Hier hängt ihr Netz: rühre daran, dass es erzittert.

    Da kommt sie willig: willkommen, Tarantel! Schwarz sitzt auf deinem Rücken dein Dreieck und Wahrzeichen; und ich weiss auch, was in deiner Seele sitzt.

    Rache sitzt in deiner Seele: wohin du beissest, da wächst schwarzer Schorf; mit Rache macht dein Gift die Seele drehend!

    Also rede ich zu euch im Gleichniss, die ihr die Seelen drehend macht, ihr Prediger der Gleichheit! Taranteln seid ihr mir und versteckte Rachsüchtige!

    Aber ich will eure Verstecke schon an's Licht bringen: darum lache ich euch in's Antlitz mein Gelächter der Höhe.

    Darum reisse ich an eurem Netze, dass eure Wuth euch aus eurer Lügen-Höhle locke, und eure Rache hervorspringe hinter eurem Wort »Gerechtigkeit.«

Denn dass der Mensch erlöst werde von der Rache: das ist mir die Brücke zur höchsten Hoffnung und ein Regenbogen nach langen Unwettern.

    Aber anders wollen es freilich die Taranteln. »Das gerade heisse uns Gerechtigkeit, dass die Welt voll werde von den Unwettern unsrer Rache« – also reden sie mit einander.

    »Rache wollen wir üben und Beschimpfung an Allen, die uns nicht gleich sind« – so geloben sich die Tarantel-Herzen.

    Und »Wille zur Gleichheit« – das selber soll fürderhin der Name für Tugend werden; und gegen Alles, was Macht hat, wollen wir unser Geschrei erheben!«

    Ihr Prediger der Gleichheit, der Tyrannen-Wahnsinn der Ohnmacht schreit also aus euch nach »Gleichheit«: eure heimlichsten Tyrannen-Gelüste vermummen sich also in Tugend-Worte!

    Vergrämter Dünkel, verhaltener Neid, vielleicht eurer Väter Dünkel und Neid: aus euch bricht's als Flamme heraus und Wahnsinn der Rache.

    Was der Vater schwieg, das kommt im Sohne zum Reden; und oft fand ich den Sohn als des Vaters entblösstes Geheimniss.

    Den Begeisterten gleichen sie: aber nicht das Herz ist es, was sie begeistert, – sondern die Rache. Und wenn sie fein und kalt werden, ist's nicht der Geist, sondern der Neid, der sie fein und kalt macht.

    Ihre Eifersucht führt sie auch auf der Denker Pfade; und diess ist das Merkmal ihrer Eifersucht – immer gehn sie zu weit: dass ihre Müdigkeit sich zuletzt noch auf Schnee schlafen legen muss.

    Aus jeder ihrer Klagen tönt Rache, in jedem ihrer Lobsprüche ist ein Wehethun; und Richter-sein scheint ihnen Seligkeit.

    Also aber rathe ich euch, meine Freunde: misstraut Allen, in welchen der Trieb, zu strafen, mächtig ist!

    Das ist Volk schlechter Art und Abkunft; aus ihren Gesichtern blickt der Henker und der Spürhund.

    Misstraut allen Denen, die viel von ihrer Gerechtigkeit reden! Wahrlich, ihren Seelen fehlt es nicht nur an Honig.

    Und wenn sie sich selber »die Guten und Gerechten« nennen, so vergesst nicht, dass ihnen zum Pharisäer Nichts fehlt als – Macht!

    Meine Freunde, ich will nicht vermischt und verwechselt werden.

    Es giebt Solche, die predigen meine Lehre vom Leben: und zugleich sind sie Prediger der Gleichheit und Taranteln.

    Dass sie dem Leben zu Willen reden, ob sie gleich in ihrer Höhle sitzen, diese Gift-Spinnen, und abgekehrt vom Leben: das macht, sie wollen damit wehethun.

    Solchen wollen sie damit wehethun, die jetzt die Macht haben: denn bei diesen ist noch die Predigt vom Tode am besten zu Hause.

    Wäre es anders, so würden die Taranteln anders lehren: und gerade sie waren ehemals die besten Welt-Verleumder und Ketzer-Brenner.

    Mit diesen Predigern der Gleichheit will ich nicht vermischt und verwechselt sein. Denn so redet mir die Gerechtigkeit: »die Menschen sind nicht gleich.«

    Und sie sollen es auch nicht werden! Was wäre denn meine Liebe zum Übermenschen, wenn ich anders spräche?

    Auf tausend Brücken und Stegen sollen sie sich drängen zur Zukunft, und immer mehr Krieg und Ungleichheit soll zwischen sie gesetzt sein: so lässt mich meine grosse Liebe reden!

    Erfinder von Bildern und Gespenstern sollen sie werden in ihren Feindschaften, und mit ihren Bildern und Gespenstern sollen sie noch gegeneinander den höchsten Kampf kämpfen!

    Gut und Böse, und Reich und Arm, und Hoch und Gering, und alle Namen der Werthe: Waffen sollen es sein und klirrende Merkmale davon, dass das Leben sich immer wieder selber überwinden muss!

    In die Höhe will es sich bauen mit Pfeilern und Stufen, das Leben selber: in weite Fernen will es blicken und hinaus nach seligen Schönheiten, – darum braucht es Höhe!

    Und weil es Höhe braucht, braucht es Stufen und Widerspruch der Stufen und Steigenden! Steigen will das Leben und steigend sich überwinden.

    Und seht mir doch, meine Freunde! Hier, wo der Tarantel Höhle ist, heben sich eines alten Tempels Trümmer aufwärts, – seht mir doch mit erleuchteten Augen hin!

    Wahrlich, wer hier einst seine Gedanken in Stein nach Oben thürmte, um das Geheimniss alles Lebens wusste er gleich dem Weisesten!

    Dass Kampf und Ungleiches auch noch in der Schönheit sei und Krieg um Macht und Übermacht: das lehrt er uns hier im deutlichsten Gleichniss.

    Wie sich göttlich hier Gewölbe und Bogen brechen, im Ringkampfe: wie mit Licht und Schatten sie wider einander streben, die göttlich-Strebenden –

    Also sicher und schön lasst uns auch Feinde sein, meine Freunde! Göttlich wollen wir wider einander streben! –

    Wehe! Da biss mich selber die Tarantel, meine alte Feindin! Göttlich sicher und schön biss sie mich in den Finger!

    »Strafe muss sein und Gerechtigkeit – so denkt sie: nicht umsonst soll er hier der Feindschaft zu Ehren Lieder singen!«

    Ja, sie hat sich gerächt! Und wehe! nun wird sie mit Rache auch noch meine Seele drehend machen!

    Dass ich mich aber nicht drehe, meine Freunde, bindet mich fest hier an diese Säule! Lieber noch Säulen-Heiliger will ich sein, als Wirbel der Rachsucht!

    Wahrlich, kein Dreh- und Wirbelwind ist Zarathustra; und wenn er ein Tänzer ist, nimmermehr doch ein Tarantel-Tänzer! –

    Also sprach Zarathustra.

                                  Von den berühmten Weisen

    Dem Volke habt ihr gedient und des Volkes Aberglauben, ihr berühmten Weisen alle! – und nicht der Wahrheit! Und gerade darum zollte man euch Ehrfurcht.

    Und darum auch ertrug man euren Unglauben, weil er ein Witz und Umweg war zum Volke. So lässt der Herr seine Sclaven gewähren und ergötzt sich noch an ihrem Übermuthe.

    Aber wer dem Volke verhasst ist wie ein Wolf den Hunden: das ist der freie Geist, der Fessel-Feind, der Nicht-Anbeter, der in Wäldern Hausende.

    Ihn zu jagen aus seinem Schlupfe – das hiess immer dem Volke »Sinn für das Rechte«: gegen ihn hetzt es noch immer seine scharfzahnigsten Hunde.

    »Denn die Wahrheit ist da: ist das Volk doch da! Wehe, wehe den Suchenden!« – also scholl es von jeher.

    Eurem Volke wolltet ihr Recht schaffen in seiner Verehrung: das hiesset ihr »Wille zur Wahrheit,« ihr berühmten Weisen!

    Und euer Herz sprach immer zu sich: »vom Volke kam ich: von dort her kam mir auch Gottes Stimme.«

    Hart-nackig und klug, dem Esel gleich, wart ihr immer als des Volkes Fürsprecher.

    Und mancher Mächtige, der gut fahren wollte mit dem Volke, spannte vor seine Rosse noch – ein Eselein, einen berühmten Weisen.

    Und nun wollte ich, ihr berühmten Weisen, ihr würfet endlich das Fell des Löwen ganz von euch!

    Das Fell des Raubthiers, das buntgefleckte, und die Zotten des Forschenden, Suchenden, Erobernden!

    Ach, dass ich an eure »Wahrhaftigkeit« glauben lerne, dazu müsstet ihr mir erst euren verehrenden Willen zerbrechen.

    Wahrhaftig – so heisse ich Den, der in götterlose Wüsten geht und sein verehrendes Herz zerbrochen hat.

    Im gelben Sande und verbrannt von der Sonne schielt er wohl durstig nach den quellenreichen Eilanden, wo Lebendiges unter dunkeln Bäumen ruht.

    Aber sein Durst überredet ihn nicht, diesen Behaglichen gleich zu werden: denn wo Oasen sind, da sind auch Götzenbilder.

    Hungernd, gewaltthätig, einsam, gottlos: so will sich selber der Löwen-Wille.

    Frei von dem Glück der Knechte, erlöst von Göttern und Anbetungen, furchtlos und fürchterlich, gross und einsam: so ist der Wille des Wahrhaftigen.

    In der Wüste wohnten von je die Wahrhaftigen, die freien Geister, als der Wüste Herren; aber in den Städten wohnen die gutgefütterten, berühmten Weisen, – die Zugthiere.

    Immer nämlich ziehen sie, als Esel – des Volkes Karren!

    Nicht dass ich ihnen darob zürne: aber Dienende bleiben sie mir und Angeschirrte, auch wenn sie von goldnem Geschirre glänzen.

    Und oft waren sie gute Diener und preiswürdige. Denn so spricht die Tugend: musst du Diener sein, so suche Den, welchem dein Dienst am besten nützt!

    »Der Geist und die Tugend deines Herrn sollen wachsen, dadurch dass du sein Diener bist: so wächsest du selber mit seinem Geiste und seiner Tugend!«

    Und wahrlich, ihr berühmten Weisen, ihr Diener des Volkes! Ihr selber wuchset mit des Volkes Geist und Tugend – und das Volk durch euch! Zu euren Ehren sage ich das!

    Aber Volk bleibt ihr mir auch noch in euren Tugenden, Volk mit blöden Augen, – Volk, das nicht weiss, was Geist ist!

    Geist ist das Leben, das selber in's Leben schneidet: an der eignen Qual mehrt es sich das eigne Wissen, – wusstet ihr das schon?

    Und des Geistes Glück ist diess: gesalbt zu sein und durch Thränen geweiht zum Opferthier, – wusstet ihr das schon?

    Und die Blindheit des Blinden und sein Suchen und Tappen soll noch von der Macht der Sonne zeugen, in die er schaute, – wusstet ihr das schon?

    Und mit Bergen soll der Erkennende bauen lernen! Wenig ist es, dass der Geist Berge versetzt, – wusstet ihr das schon?

    Ihr kennt nur des Geistes Funken: aber ihr seht den Ambos nicht, der er ist, und nicht die Grausamkeit seines Hammers!

    Wahrlich, ihr kennt des Geistes Stolz nicht! Aber noch weniger würdet ihr des Geistes Bescheidenheit ertragen, wenn sie einmal reden wollte!

    Und niemals noch durftet ihr euren Geist in eine Grube von Schnee werfen: ihr seid nicht heiss genug dazu! So kennt ihr auch die Entzückungen seiner Kälte nicht.

    In Allem aber thut ihr mir zu vertraulich mit dem Geiste; und aus der Weisheit machtet ihr oft ein Armen- und Krankenhaus für schlechte Dichter.

    Ihr seid keine Adler: so erfuhrt ihr auch das Glück im Schrekken des Geistes nicht. Und wer kein Vogel ist, soll sich nicht über Abgründen lagern.

    Ihr seid mir Laue: aber kalt strömt jede tiefe Erkenntniss. Eiskalt sind die innersten Brunnen des Geistes: ein Labsal heissen Händen und Handelnden.

    Ehrbar steht ihr mir da und steif und mit geradem Rücken, ihr berühmten Weisen! – euch treibt kein starker Wind und Wille.

    Saht ihr nie ein Segel über das Meer gehn, geründet und gebläht und zitternd vor dem Ungestüm des Windes?

    Dem Segel gleich, zitternd vor dem Ungestüm des Geistes, geht meine Weisheit über das Meer – meine wilde Weisheit!

    Aber ihr Diener des Volkes, ihr berühmten Weisen, – wie könntet ihr mit mir gehn! –

    Also sprach Zarathustra.

                                            Das Nachtlied

    Nacht ist es: nun reden lauter alle springenden Brunnen. Und auch meine Seele ist ein springender Brunnen.

    Nacht ist es: nun erst erwachen alle Lieder der Liebenden. Und auch meine Seele ist das Lied eines Liebenden.

    Ein Ungestilltes, Unstillbares ist in mir; das will laut werden. Eine Begierde nach Liebe ist in mir, die redet selber die Sprache der Liebe.

    Licht bin ich: ach, dass ich Nacht wäre! Aber diess ist meine Einsamkeit, dass ich von Licht umgürtet bin.

Ach, dass ich dunkel wäre und nächtig! Wie wollte ich an den Brüsten des Lichts saugen!

    Und euch selber wollte ich noch segnen, ihr kleinen Funkelsterne und Leuchtwürmer droben! – und selig sein ob eurer Licht-Geschenke.

    Aber ich lebe in meinem eignen Lichte, ich trinke die Flammen in mich zurück, die aus mir brechen.

    Ich kenne das Glück des Nehmenden nicht; und oft träumte mir davon, dass Stehlen noch seliger sein müsse, als Nehmen.

    Das ist meine Armuth, dass meine Hand niemals ausruht vom Schenken; das ist mein Neid, dass ich wartende Augen sehe und die erhellten Nächte der Sehnsucht.

    Oh Unseligkeit aller Schenkenden! Oh Verfinsterung meiner Sonne! Oh Begierde nach Begehren! Oh Heisshunger in der Sättigung!

    Sie nehmen von mir: aber rühre ich noch an ihre Seele? Eine Kluft ist zwischen Geben und Nehmen; und die kleinste Kluft ist am letzten zu überbrücken.

    Ein Hunger wächst aus meiner Schönheit: wehethun möchte ich Denen, welchen ich leuchte, berauben möchte ich meine Beschenkten: – also hungere ich nach Bosheit.

    Die Hand zurückziehend, wenn sich schon ihr die Hand entgegenstreckt; dem Wasserfälle gleich zögernd, der noch im Sturze zögert: – also hungere ich nach Bosheit.

    Solche Rache sinnt meine Fülle aus; solche Tücke quillt aus meiner Einsamkeit.

    Mein Glück im Schenken erstarb im Schenken, meine Tugend wurde ihrer selber müde an ihrem Überflusse!

    Wer immer schenkt, dessen Gefahr ist, dass er die Scham verliere; wer immer austheilt, dessen Hand und Herz hat Schwielen vor lauter Austheilen.

    Mein Auge quillt nicht mehr über vor der Scham der Bittenden; meine Hand wurde zu hart für das Zittern gefüllter Hände.

    Wohin kam die Thräne meinem Auge und der Flaum meinem Herzen? Oh Einsamkeit aller Schenkenden! Oh Schweigsamkeit aller Leuchtenden!

    Viel Sonnen kreisen im öden Räume: zu Allem, was dunkel ist, reden sie mit ihrem Lichte, – mir schweigen sie.

    Oh diess ist die Feindschaft des Lichts gegen Leuchtendes, erbarmungslos wandelt es seine Bahnen.

    Unbillig gegen Leuchtendes im tiefsten Herzen: kalt gegen Sonnen, – also wandelt jede Sonne.

    Einem Sturme gleich fliegen die Sonnen ihre Bahnen, das ist ihr Wandeln. Ihrem unerbittlichen Willen folgen sie, das ist ihre Kälte.

    Oh, ihr erst seid es, ihr Dunklen, ihr Nächtigen, die ihr Wärme schafft aus Leuchtendem! Oh, ihr erst trinkt euch Milch und Labsal aus des Lichtes Eutern!

    Ach, Eis ist um mich, meine Hand verbrennt sich an Eisigem! Ach, Durst ist in mir, der schmachtet nach eurem Durste!

    Nacht ist es: ach dass ich Licht sein muss! Und Durst nach Nächtigem! Und Einsamkeit!

    Nacht ist es: nun bricht wie ein Born aus mir mein Verlangen, – nach Rede verlangt mich.

    Nacht ist es: nun reden lauter alle springenden Brunnen. Und auch meine Seele ist ein springender Brunnen.

    Nacht ist es: nun erst erwachen alle Lieder der Liebenden. Und auch meine Seele ist das Lied eines Liebenden. –

    Also sang Zarathustra.

                                               Das Tanzlied

   Eines Abends gieng Zarathustra mit seinen Jüngern durch den Wald; und als er nach einem Brunnen suchte, siehe, da kam er auf eine grüne Wiese, die von Bäumen und Gebüsch still umstanden war: auf der tanzten Mädchen mit einander. Sobald die Mädchen Zarathustra erkannten, liessen sie vom Tanze ab; Zarathustra aber trat mit freundlicher Gebärde zu ihnen und sprach diese Worte:

   »Lasst vom Tanze nicht ab, ihr lieblichen Mädchen! Kein Spielverderber kam zu euch mit bösem Blick, kein Mädchen-Feind.

   Gottes Fürsprecher bin ich vor dem Teufel: der aber ist der Geist der Schwere. Wie sollte ich, ihr Leichten, göttlichen Tänzen feind sein? Oder Mädchen-Füssen mit schönen Knöcheln?

   Wohl bin ich ein Wald und eine Nacht dunkler Bäume: doch wer sich vor meinem Dunkel nicht scheut, der findet auch Rosenhänge unter meinen Cypressen.

   Und auch den kleinen Gott findet er wohl, der den Mädchen der liebste ist: neben dem Brunnen liegt er, still, mit geschlossenen Augen.

   Wahrlich, am hellen Tage schlief er mir ein, der Tagedieb! Haschte er wohl zu viel nach Schmetterlingen?

   Zürnt mir nicht, ihr schönen Tanzenden, wenn ich den kleinen Gott ein Wenig züchtige! Schreien wird er wohl und weinen, – aber zum Lachen ist er noch im Weinen!

   Und mit Thränen im Auge soll er euch um einen Tanz bitten; und ich selber will ein Lied zu seinem Tanze singen:

   Ein Tanz- und Spottlied auf den Geist der Schwere, meinen allerhöchsten grossmächtigsten Teufel, von dem sie sagen, dass er »der Herr der Welt« sei.« –

   Und diess ist das Lied, welches Zarathustra sang, als Cupido und die Mädchen zusammen tanzten.

   In dein Auge schaute ich jüngst, oh Leben! Und in's Unergründliche schien ich mir da zu sinken.

   Aber du zogst mich mit goldner Angel heraus; spöttisch lachtest du, als ich dich unergründlich nannte.

   »So geht die Rede aller Fische, sprachst du; was sie nicht ergründen, ist unergründlich.

   »Aber veränderlich bin ich nur und wild und in Allem ein Weib, und kein tugendhaftes:

   »Ob ich schon euch Männern »die Tiefe« heisse oder »die Treue«, »die Ewige«, »die Geheimnissvolle.« –

   »Doch ihr Männer beschenkt uns stets mit den eignen Tugenden – ach, ihr Tugendhaften!«

   Also lachte sie, die Unglaubliche; aber ich glaube ihr niemals und ihrem Lachen, wenn sie bös von sich selber spricht.

   Und als ich unter vier Augen mit meiner wilden Weisheit redete, sagte sie mir zornig: »Du willst, du begehrst, du liebst, darum allein lobst du das Leben!«

   Fast hätte ich da bös geantwortet und der Zornigen die Wahrheit gesagt; und man kann nicht böser antworten, als wenn man seiner Weisheit »die Wahrheit sagt.«

   So nämlich steht es zwischen uns Dreien. Von Grund aus liebe ich nur das Leben – und, wahrlich, am meisten dann, wenn ich es hasse!

   Dass ich aber der Weisheit gut bin und oft zu gut: das macht, sie erinnert mich gar sehr an das Leben!

   Sie hat ihr Auge, ihr Lachen und sogar ihr goldnes Angelrüthchen: was kann ich dafür, dass die Beiden sich so ähnlich sehen?

   Und als mich einmal das Leben fragte: Wer ist denn das, die Weisheit? – da sagte ich eifrig: »Ach ja! die Weisheit!

   Man dürstet um sie und wird nicht satt, man blickt durch Schleier, man hascht durch Netze.

   Ist sie schön? Was weiss ich! Aber die ältesten Karpfen werden noch mit ihr geködert.

   Veränderlich ist sie und trotzig; oft sah ich sie sich die Lippe beissen und den Kamm wider ihres Haares Strich führen.

   Vielleicht ist sie böse und falsch, und in Allem ein Frauenzimmer; aber wenn sie von sich selber schlecht spricht, da gerade verführt sie am meisten.«

   Als ich diess zu dem Leben sagte, da lachte es boshaft und machte die Augen zu. Von wem redest du doch? sagte sie, wohl von mir?

   Und wenn du Recht hättest, – sagt man das mir so in's Gesicht! Aber nun sprich doch auch von deiner Weisheit!«

   Ach, und nun machtest du wieder dein Auge auf, oh geliebtes Leben! Und in's Unergründliche schien ich mir wieder zu sinken. –

   Also sang Zarathustra. Als aber der Tanz zu Ende und die Mädchen fortgegangen waren, wurde er traurig.

   »Die Sonne ist lange schon hinunter, sagte er endlich; die Wiese ist feucht, von den Wäldern her kommt Kühle.

   Ein Unbekanntes ist um mich und blickt nachdenklich. Was! Du lebst noch, Zarathustra?

   Warum? Wofür? Wodurch? Wohin? Wo? Wie? Ist es nicht Thorheit, noch zu leben? –

   Ach, meine Freunde, der Abend ist es, der so aus mir fragt. Vergebt mir meine Traurigkeit!

   Abend ward es: vergebt mir, dass es Abend ward!«

   Also sprach Zarathustra.

                                               Das Grablied

    »Dort ist die Gräberinsel, die schweigsame; dort sind auch die Gräber meiner Jugend. Dahin will ich einen immergrünen Kranz des Lebens tragen.«

    Also im Herzen beschliessend fuhr ich über das Meer. –

    Oh ihr, meiner Jugend Gesichte und Erscheinungen! Oh, ihr Blicke der Liebe alle, ihr göttlichen Augenblicke! Wie starbt ihr mir so schnell! Ich gedenke eurer heute wie meiner Todten.

    Von euch her, meinen liebsten Todten, kommt mir ein süsser Geruch, ein herz- und thränenlösender. Wahrlich, er erschüttert und löst das Herz dem einsam Schiffenden.

    Immer noch bin ich der Reichste und Bestzubeneidende – ich der Einsamste! Denn ich hatte euch doch, und ihr habt mich noch: sagt, wem fielen, wie mir, solche Rosenäpfel vom Baume?

    Immer noch bin ich eurer Liebe Erbe und Erdreich, blühend zu eurem Gedächtnisse von bunten wildwachsenen Tugenden, oh ihr Geliebtesten!

    Ach, wir waren gemacht, einander nahe zu bleiben, ihr holden fremden Wunder; und nicht schüchternen Vögeln gleich kamt ihr zu mir und meiner Begierde – nein, als Trauende zu dem Trauenden!

    Ja, zur Treue gemacht, gleich mir, und zu zärtlichen Ewigkeiten: muss ich nun euch nach eurer Untreue heissen, ihr göttlichen Blicke und Augenblicke: keinen andern Namen lernte ich noch.

    Wahrlich, zu schnell starbt ihr mir, ihr Flüchtlinge. Doch floht ihr mich nicht, noch floh ich euch: unschuldig sind wir einander in unsrer Untreue.

Mich zu tödten, erwürgte man euch, ihr Singvögel meiner Hoffnungen! Ja, nach euch, ihr Liebsten, schoss immer die Bosheit Pfeile – mein Herz zu treffen!

    Und sie traf! Wart ihr doch stets mein Herzlichstes, mein Besitz und mein Besessen-sein: darum musstet ihr jung sterben und allzu frühe!

    Nach dem Verwundbarsten, das ich besass, schoss man den Pfeil: das waret ihr, denen die Haut einem Flaume gleich ist und mehr noch dem Lächeln, das an einem Blick erstirbt!

    Aber diess Wort will ich zu meinen Feinden reden: was ist alles Menschen-Morden gegen Das, was ihr mir thatet!

    Böseres thatet ihr mir, als aller Menschen-Mord ist; Unwiederbringliches nahmt ihr mir: – also rede ich zu euch, meine Feinde!

    Mordetet ihr doch meiner Jugend Gesichte und liebste Wunder! Meine Gespielen nahmt ihr mir, die seligen Geister! Ihrem Gedächtnisse lege ich diesen Kranz und diesen Fluch nieder.

    Diesen Fluch gegen euch, meine Feinde! Machtet ihr doch mein Ewiges kurz, wie ein Ton zerbricht in kalter Nacht! Kaum als Aufblinken göttlicher Augen kam es mir nur, – als Augenblick!

    Also sprach zur guten Stunde einst meine Reinheit: »göttlich sollen mir alle Wesen sein.«

    Da überfielt ihr mich mit schmutzigen Gespenstern; ach, wohin floh nun jene gute Stunde!

    »Alle Tage sollen mir heilig sein« – so redete einst die Weisheit meiner Jugend: wahrlich, einer fröhlichen Weisheit Rede!

    Aber da stahlt ihr Feinde mir meine Nächte und verkauftet sie zu schlafloser Qual: ach, wohin floh nun jene fröhliche Weisheit?

    Einst begehrte ich nach glücklichen Vogelzeichen: da führtet ihr mir ein Eulen-Unthier über den Weg, ein widriges. Ach, wohin floh da meine zärtliche Begierde?

    Allem Ekel gelobte ich einst zu entsagen: da verwandeltet ihr meine Nahen und Nächsten in Eiterbeulen. Ach, wohin floh da mein edelstes Gelöbniss«

    Als Blinder gieng ich einst selige Wege: da warft ihr Unflath auf den Weg des Blinden: und nun ekelte ihn des alten Blinden-Fusssteigs.

    Und als ich mein Schwerstes that und meiner Überwindungen Sieg feierte: da machtet ihr Die, welche mich liebten, schrein, ich thue ihnen am wehesten.

    Wahrlich, das war immer euer Thun: ihr vergälltet mir meinen besten Honig und den Fleiss meiner besten Bienen.

    Meiner Mildthätigkeit sandtet ihr immer die frechsten Bettler zu; um mein Mitleiden drängtet ihr immer die unheilbar Schamlosen. So verwundetet ihr meine Tugend in ihrem Glauben.

    Und legte ich noch mein Heiligstes zum Opfer hin: flugs stellte eure »Frömmigkeit« ihre fetteren Gaben dazu: also dass im Dampfe eures Fettes noch mein Heiligstes erstickte.

    Und einst wollte ich tanzen, wie nie ich noch tanzte: über alle Himmel weg wollte ich tanzen. Da überredetet ihr meinen liebsten Sänger.

    Und nun stimmte er eine schaurige dumpfe Weise an; ach, er tutete mir, wie ein düsteres Horn, zu Ohren!

    Mörderischer Sänger, Werkzeug der Bosheit, Unschuldigster! Schon stand ich bereit zum besten Tanze: da mordetest du mit deinen Tönen meine Verzückung!

    Nur im Tanze weiss ich der höchsten Dinge Gleichniss zu reden: – und nun blieb mir mein höchstes Gleichniss ungeredet in einen Gliedern!

    Ungeredet und unerlöst blieb mir die höchste Hoffnung! Und es starben mir alle Gesichte und Tröstungen meiner Jugend!

    Wie ertrug ich's nur? Wie verwand und überwand ich solche Wunden? Wie erstand meine Seele wieder aus diesen Gräbern?

    Ja, ein Unverwundbares, Unbegrabbares ist an mir, ein Felsensprengendes: das heisst mein Wille. Schweigsam schreitet es und unverändert durch die Jahre.

    Seinen Gang will er gehn auf meinen Füssen, mein alter Wille; herzenshart ist ihm der Sinn und unverwundbar.

    Unverwundbar bin ich allein an meiner Ferse. Immer noch lebst du da und bist dir gleich, Geduldigster! Immer noch brachst du dich durch alle Gräber!

    In dir lebt auch noch das Unerlöste meiner Jugend; und als Leben und Jugend sitzest du hoffend hier auf gelben Grab-Trümmern.

    Ja, noch bist du mir aller Gräber Zertrümmerer: Heil dir, mein Wille! Und nur wo Gräber sind, giebt es Auferstehungen. –

    Also sang Zarathustra. –

                              Von der Selbst-Ueberwindung

    »Wille zur Wahrheit« heisst ihr's, ihr Weisesten, was euch treibt und brünstig macht?

    Wille zur Denkbarkeit alles Seienden: also heisse ich euren Willen!

    Alles Seiende wollt ihr erst denkbar machen : denn ihr zweifelt mit gutem Misstrauen, ob es schon denkbar ist.

    Aber es soll sich euch fügen und biegen! So will's euer Wille. Glatt soll es werden und dem Geiste unterthan, als sein Spiegel und Widerbild.

    Das ist euer ganzer Wille, ihr Weisesten, als ein Wille zur Macht; und auch wenn ihr vom Guten und Bösen redet und von den Werthschätzungen. Schaffen wollt ihr noch die Welt, vor der ihr knien könnt: so ist es eure letzte Hoffnung und Trunkenheit.

    Die Unweisen freilich, das Volk, – die sind gleich dem Flusse, auf dem ein Nachen weiter schwimmt: und im Nachen sitzen feierlich und vermummt die Werthschätzungen.

    Euren Willen und eure Werthe setztet ihr auf den Fluss des Werdens; einen alten Willen zur Macht verräth mir, was vom Volke als gut und böse geglaubt wird.

    Ihr wart es, ihr Weisesten, die solche Gäste in diesen Nachen setzten und ihnen Prunk und stolze Namen gaben, – ihr und euer herrschender Wille!

    Weiter trägt nun der Fluss euren Nachen: er muss ihn tragen. Wenig thut's, ob die gebrochene Welle schäumt und zornig dem Kiele widerspricht!

    Nicht der Fluss ist eure Gefahr und das Ende eures Guten und Bösen, ihr Weisesten: sondern jener Wille selber, der Wille zur Macht, – der unerschöpfte zeugende Lebens-Wille.

    Aber damit ihr mein Wort versteht vom Guten und Bösen: dazu will ich euch noch mein Wort vom Leben sagen und von der Art alles Lebendigen.

    Dem Lebendigen gieng ich nach, ich gieng die grössten und die kleinsten Wege, dass ich seine Art erkenne.

    Mit hundertfachem Spiegel fieng ich noch seinen Blick auf, wenn ihm der Mund geschlossen war: dass sein Auge mir rede. Und sein Auge redete mir.

    Aber, wo ich nur Lebendiges fand, da hörte ich auch die Rede vom Gehorsame. Alles Lebendige ist ein Gehorchendes.

    Und diess ist das Zweite: Dem wird befohlen, der sich nicht selber gehorchen kann. So ist es des Lebendigen Art.

    Diess aber ist das Dritte, was ich hörte: dass Befehlen schwerer ist, als Gehorchen. Und nicht nur, dass der Befehlende die Last aller Gehorchenden trägt, und dass leicht ihn diese Last zerdrückt: –

    Ein Versuch und Wagniss erschien mir in allem Befehlen; und stets, wenn es befiehlt, wagt das Lebendige sich selber dran.

    Ja noch, wenn es sich selber befiehlt: auch da noch muss es sein Befehlen büssen. Seinem eignen Gesetze muss es Richter und Rächer und Opfer werden.

    Wie geschieht diess doch! so fragte ich mich. Was überredet das Lebendige, dass es gehorcht und befiehlt und befehlend noch Gehorsam übt?

    Hört mir nun mein Wort, ihr Weisesten! Prüft es ernstlich, ob ich dem Leben selber in's Herz kroch und bis in die Wurzeln seines Herzens!

    Wo ich Lebendiges fand, da fand ich Willen zur Macht; und noch im Willen des Dienenden fand ich den Willen, Herr zu sein.

    Dass dem Stärkeren diene das Schwächere, dazu überredet es sein Wille, der über noch Schwächeres Herr sein will: dieser Lust allein mag es nicht entrathen.

    Und wie das Kleinere sich dem Grösseren hingiebt, dass es Lust und Macht am Kleinsten habe: also giebt sich auch das Grösste noch hin und setzt um der Macht willen – das Leben dran.

    Das ist die Hingebung des Grössten, dass es Wagniss ist und Gefahr und um den Tod ein Würfelspielen.

    Und wo Opferung und Dienste und Liebesblicke sind: auch da ist Wille, Herr zu sein. Auf Schleichwegen schleicht sich da der Schwächere in die Burg und bis in's Herz dem Mächtigeren – und stiehlt da Macht.

    Und diess Geheimniss redete das Leben selber zu mir. Siehe, sprach es, ich bin das, was sich immer selber überwinden muss.

    »Freilich, ihr heisst es Wille zur Zeugung oder Trieb zum Zwecke, zum Höheren, Ferneren, Vielfacheren: aber all diess ist Eins und Ein Geheimniss.

    »Lieber noch gehe ich unter, als dass ich diesem Einen absagte; und wahrlich, wo es Untergang giebt und Blätterfallen, siehe, da opfert sich Leben – um Macht!

    »Dass ich Kampf sein muss und Werden und Zweck und der Zwecke Widerspruch: ach, wer meinen Willen erräth, erräth wohl auch, auf welchen krummen Wegen er gehen muss!

    »Was ich auch schaffe und wie ich's auch liebe, – bald muss ich Gegner ihm sein und meiner Liebe: so will es mein Wille.

    »Und auch du, Erkennender, bist nur ein Pfad und Fusstapfen meines Willens: wahrlich, mein Wille zur Macht wandelt auch auf den Füssen deines Willens zur Wahrheit!

    »Der traf freilich die Wahrheit nicht, der das Wort nach ihr schoss vom »Willen zum Dasein«: diesen Willen – giebt es nicht!

    »Denn: was nicht ist, das kann nicht wollen; was aber im Dasein ist, wie könnte das noch zum Dasein wollen!

    »Nur, wo Leben ist, da ist auch Wille: aber nicht Wille zum Leben, sondern – so lehre ich's dich – Wille zur Macht!

    »Vieles ist dem Lebenden höher geschätzt, als Leben selber; doch aus dem Schätzen selber heraus redet – der Wille zur Macht!« –

    Also lehrte mich einst das Leben: und daraus löse ich euch, ihr Weisesten, noch das Räthsel eures Herzens.

    Wahrlich, ich sage euch: Gutes und Böses, das unvergänglich wäre – das giebt es nicht! Aus sich selber muss es sich immer wieder überwinden.

    Mit euren Werthen und Worten von Gut und Böse übt ihr Gewalt, ihr Werthschätzenden: und diess ist eure verborgene Liebe und eurer Seele Glänzen, Zittern und Überwallen.

    Aber eine stärkere Gewalt wächst aus euren Werthen und eine neue Überwindung: an der zerbricht Ei und Eierschale.

    Und wer ein Schöpfer sein muss im Guten und Bösen: wahrlich, der muss ein Vernichter erst sein und Werthe zerbrechen.

    Also gehört das höchste Böse zur höchsten Güte: diese aber ist die schöpferische. –

    Reden wir nur davon, ihr Weisesten, ob es gleich schlimm ist. Schweigen ist schlimmer; alle verschwiegenere Wahrheiten werden giftig.

    Und mag doch Alles zerbrechen, was an unseren Wahrheiten zerbrechen – kann! Manches Haus giebt es noch zu bauen!

    Also sprach Zarathustra.

                                   Von den Erhabenen

    Still ist der Grund meines Meeres: wer erriethe wohl, dass er scherzhafte Ungeheuer birgt!

    Unerschütterlich ist meine Tiefe: aber sie glänzt von schwimmenden Räthseln und Gelächtern.

    Einen Erhabenen sah ich heute, einen Feierlichen, einen Büsser des Geistes: oh wie lachte meine Seele ob seiner Hässlichkeit!

    Mit erhobener Brust und Denen gleich, welche den Athem an sich ziehn: also stand er da, der Erhabene, und schweigsam:

    Behängt mit hässlichen Wahrheiten, seiner Jagdbeute, und reich an zerrissenen Kleidern; auch viele Dornen hiengen an ihm – aber noch sah ich keine Rose.

    Noch lernte er das Lachen nicht und die Schönheit. Finster kam dieser Jäger zurück aus dem Walde der Erkenntniss.

    Vom Kampfe kehrte er heim mit wilden Thieren: aber aus seinem Ernste blickt auch noch ein wildes Thier – ein unüberwundenes!

    Wie ein Tiger steht er immer noch da, der springen will; aber ich mag diese gespannten Seelen nicht, unhold ist mein Geschmack allen diesen Zurückgezognen.

    Und ihr sagt mir, Freunde, dass nicht zu streiten sei über Geschmack und Schmecken? Aber alles Leben ist Streit um Geschmack und Schmecken!

    Geschmack: das ist Gewicht zugleich und Wagschale und Wägender; und wehe allem Lebendigen, das ohne Streit um Gewicht und Wagschale und Wägende leben wollte!

    Wenn er seiner Erhabenheit müde würde, dieser Erhabene: dann erst würde seine Schönheit anheben, – und dann erst will ich ihn schmecken und schmackhaft finden.

    Und erst, wenn er sich von sich selber abwendet, wird er über seinen eignen Schatten springen – und, wahrlich! hinein in seine Sonne.

    Allzulange sass er im Schatten, die Wangen bleichten dem Büsser des Geistes; fast verhungerte er an seinen Erwartungen.

    Verachtung ist noch in seinem Auge; und Ekel birgt sich an seinem Munde. Zwar ruht er jetzt, aber seine Ruhe hat sich noch nicht in die Sonne gelegt.

    Dem Stiere gleich sollte er thun; und sein Glück sollte nach Erde riechen und nicht nach Verachtung der Erde.

    Als weissen Stier möchte ich ihn sehn, wie er schnaubend und brüllend der Pflugschar vorangeht: und sein Gebrüll sollte noch alles Irdische preisen!

    Dunkel noch ist sein Antlitz; der Hand Schatten spielt auf ihm. Verschattet ist noch der Sinn seines Auges.

    Seine That selber ist noch der Schatten auf ihm: die Hand verdunkelt den Handelnden. Noch hat er seine That nicht überwunden.

    Wohl liebe ich an ihm den Nacken des Stiers: aber nun will ich auch noch das Auge des Engels sehn.

    Auch seinen Helden-Willen muss er noch verlernen: ein Gehobener soll er mir sein und nicht nur ein Erhabener: – der Aether selber sollte ihn heben, den Willenlosen!

    Er bezwang Unthiere, er löste Räthsel: aber erlösen sollte er auch noch seine Unthiere und Räthsel, zu himmlischen Kindern sollte er sie noch verwandeln.

    Noch hat seine Erkenntniss nicht lächeln gelernt und ohne Eifersucht sein; noch ist seine strömende Leidenschaft nicht stille geworden in der Schönheit.

    Wahrlich, nicht in der Sattheit soll sein Verlangen schweigen und untertauchen, sondern in der Schönheit! Die Anmuth gehört zur Grossmuth des Grossgesinnten.

    Den Arm über das Haupt gelegt: so sollte der Held ausruhn, so sollte er auch noch sein Ausruhen überwinden.

    Aber gerade dem Helden ist das Schöne aller Dinge Schwerstes. Unerringbar ist das Schöne allem heftigen Willen.

    Ein Wenig mehr, ein Wenig weniger: das gerade ist hier Viel, das ist hier das Meiste.

    Mit lässigen Muskeln stehn und mit abgeschirrtem Willen: das ist das Schwerste euch Allen, ihr Erhabenen!

    Wenn die Macht gnädig wird und herabkommt in's Sichtbare: Schönheit heisse ich solches Herabkommen.

    Und von Niemandem will ich so als von dir gerade Schönheit, du Gewaltiger: deine Güte sei deine letzte Selbst- Überwältigung.

    Alles Böse traue ich dir zu: darum will ich von dir das Gute.

    Wahrlich, ich lachte oft der Schwächlinge, welche sich gut glauben, weil sie lahme Tatzen haben!

    Der Säule Tugend sollst du nachstreben: schöner wird sie immer und zarter, aber inwendig härter und tragsamer, je mehr sie aufsteigt.

    Ja, du Erhabener, einst sollst du noch schön sein und deiner eignen Schönheit den Spiegel vorhalten.

    Dann wird deine Seele vor göttlichen Begierden schaudern; und Anbetung wird noch in deiner Eitelkeit sein!

    Diess nämlich ist das Geheimniss der Seele: erst, wenn sie der Held verlassen hat, naht ihr, im Traume, – der Über-Held.

    Also sprach Zarathustra.

                                   Vom Lande der Bildung

    Zu weit hinein flog ich in die Zukunft: ein Grauen überfiel mich.

    Und als ich um mich sah, siehe! da war die Zeit mein einziger Zeitgenosse.

    Da floh ich rückwärts, heimwärts – und immer eilender: so kam ich zu euch, ihr Gegenwärtigen, und in's Land der Bildung.

Zum ersten Male brachte ich ein Auge mit für euch, und gute Begierde: wahrlich, mit Sehnsucht im Herzen kam ich.

    Aber wie geschah mir? So angst mir auch war, – ich musste lachen! Nie sah mein Auge etwas so Buntgesprenkeltes!

    Ich lachte und lachte, während der Fuss mir noch zitterte und das Herz dazu: »hier ist ja die Heimat aller Farbentöpfe!« – sagte ich.

    Mit fünfzig Klexen bemalt an Gesicht und Gliedern: so sasset ihr da zu meinem Staunen, ihr Gegenwärtigen!

    Und mit fünfzig Spiegeln um euch, die eurem Farbenspiele schmeichelten und nachredeten!

    Wahrlich, ihr könntet gar keine bessere Maske tragen, ihr Gegenwärtigen, als euer eignes Gesicht ist! Wer könnte euch – erkennen!

    Vollgeschrieben mit den Zeichen der Vergangenheit, und auch diese Zeichen überpinselt mit neuen Zeichen: also habt ihr euch gut versteckt vor allen Zeichendeutern!

    Und wenn man auch Nierenprüfer ist: wer glaubt wohl noch, dass ihr Nieren habt! Aus Farben scheint ihr gebacken und aus geleimten Zetteln.

    Alle Zeiten und Völker blicken bunt aus euren Schleiern; alle Sitten und Glauben reden bunt aus euren Gebärden.

    Wer von euch Schleier und Überwürfe und Farben und Gebärden abzöge: gerade genug würde er übrig behalten, um die Vögel damit zu erschrecken.

    Wahrlich, ich selber bin der erschreckte Vogel, der euch einmal nackt sah und ohne Farbe; und ich flog davon, als das Gerippe mir Liebe zuwinkte.

    Lieber wollte ich doch noch Tagelöhner sein in der Unterwelt und bei den Schatten des Ehemals! – feister und voller als ihr sind ja noch die Unterweltlichen!

    Diess, ja diess ist Bitterniss meinen Gedärmen, dass ich euch weder nackt, noch bekleidet aushalte, ihr Gegenwärtigen!

    Alles Unheimliche der Zukunft, und was je verflogenen Vögeln Schauder machte, ist wahrlich heimlicher noch und traulicher als eure »Wirklichkeit«.

    Denn so sprecht ihr: »Wirkliche sind wir ganz, und ohne Glauben und Aberglauben«: also brüstet ihr euch – ach, auch noch ohne Brüste!

    Ja, wie solltet ihr glauben können, ihr Buntgesprenkelten! – die ihr Gemälde seid von Allem, was je geglaubt wurde!

    Wandelnde Widerlegungen seid ihr des Glaubens selber, und aller Gedanken Gliederbrechen. Unglaubwürdige : also heisse ich euch, ihr Wirklichen!

    Alle Zeiten schwätzen wider einander in euren Geistern; und aller Zeiten Träume und Geschwätz waren wirklicher noch als euer Wachsein ist!

    Unfruchtbare seid ihr: darum fehlt es euch an Glauben. Aber wer schaffen musste, der hatte auch immer seine Wahr-Träume und Stern-Zeichen – und glaubte an Glauben! –

    Halboffne Thore seid ihr, an denen Todtengräber warten. Und das ist eure Wirklichkeit: »Alles ist werth, dass es zu Grunde geht.«

    Ach, wie ihr mir dasteht, ihr Unfruchtbaren, wie mager in den Rippen! Und Mancher von euch hatte wohl dessen selber ein Einsehen.

    Und er sprach: »es hat wohl da ein Gott, als ich schlief, mir heimlich Etwas entwendet? Wahrlich, genug, sich ein Weibchen daraus zu bilden!

    Wundersam ist die Armuth meiner Rippen!« also sprach schon mancher Gegenwärtige.

    Ja, zum Lachen seid ihr mir, ihr Gegenwärtigen! Und sonderlich, wenn ihr euch über euch selber wundert!

    Und wehe mir, wenn ich nicht lachen könnte über eure Verwunderung, und alles Widrige aus euren Näpfen hinunter trinken müsste!

    So aber will ich's mit euch leichter nehmen, da ich Schweres zu tragen habe; und was thut's mir, wenn sich Käfer und Flügelwürmer noch auf mein Bündel setzen!

    Wahrlich, es soll mir darob nicht schwerer werden! Und nicht aus euch, ihr Gegenwärtigen, soll mir die grosse Müdigkeit kommen. – Ach, wohin soll ich nun noch steigen mit meiner Sehnsucht! Von allen Bergen schaue ich aus nach Vater- und Mutterländern.

    Aber Heimat fand ich nirgends: unstät bin ich in allen Städten und ein Aufbruch an allen Thoren.

    Fremd sind mir und ein Spott die Gegenwärtigen, zu denen mich jüngst das Herz trieb; und vertrieben bin ich aus Vater- und Mutterländern.

    So liebe ich allein noch meiner Kinder Land, das unentdeckte, im fernsten Meere: nach ihm heisse ich meine Segel suchen und suchen.

    An meinen Kindern will ich es gut machen, dass ich meiner Väter Kind bin: und an aller Zukunft – diese Gegenwart!

    Also sprach Zarathustra.

                           Von der unbefleckten Erkenntniss

    Als gestern der Mond aufgieng, wähnte ich, dass er eine Sonne gebären wolle: so breit und trächtig lag er am Horizonte.

    Aber ein Lügner war er mir mit seiner Schwangerschaft; und eher noch will ich an den Mann im Monde glauben als an das Weib.

    Freilich, wenig Mann ist er auch, dieser schüchterne Nachtschwärmer. Wahrlich, mit schlechtem Gewissen wandelt er über die Dächer.

    Denn er ist lüstern und eifersüchtig, der Mönch im Monde, lüstern nach der Erde und nach allen Freuden der Liebenden.

    Nein, ich mag ihn nicht, diesen Kater auf den Dächern! Widerlich sind mir Alle, die um halbverschlossne Fenster schleichen!

    Fromm und schweigsam wandelt er hin auf Sternen-Teppichen: – aber ich mag alle leisetretenden Mannsfüsse nicht, an denen auch nicht ein Sporen klirrt.

    Jedes Redlichen Schritt redet; die Katze aber stiehlt sich über den Boden weg. Siehe, katzenhaft kommt der Mond daher und unredlich. –

    Dieses Gleichniss gebe ich euch empfindsamen Heuchlern, euch, den "Rein-Erkennenden!« Euch heisse ich – Lüsterne!

    Auch ihr liebt die Erde und das Irdische: ich errieth euch wohl! – aber Scham ist in eurer Liebe und schlechtes Gewissen, – dem Monde gleicht ihr!

    Zur Verachtung des Irdischen hat man euren Geist überredet, aber nicht eure Eingeweide: die aber sind das Stärkste an euch!

    Und nun schämt sich euer Geist, dass er euren Eingeweiden zu willen ist und geht vor seiner eignen Scham Schleich- und Lügenwege.

    »Das wäre mir das Höchste – also redet euer verlogner Geist zu sich – auf das Leben ohne Begierde zu schaun und nicht gleich dem Hunde mit hängender Zunge:

    »Glücklich zu sein im Schauen, mit erstorbenem Willen, ohne Griff und Gier der Selbstsucht – kalt und aschgrau am ganzen Leibe, aber mit trunkenen Mondesaugen!«

    »Das wäre mir das Liebste, – also verführt sich selber der Verführte – die Erde zu lieben, wie der Mond sie liebt, und nur mit dem Auge allein ihre Schönheit zu betasten.

    »Und das heisse mir aller Dinge unbefleckte Erkenntniss, dass ich von den Dingen Nichts will: ausser dass ich vor ihnen da liegen darf wie ein Spiegel mit hundert Augen.« –

    Oh, ihr empfindsamen Heuchler, ihr Lüsternen! Euch fehlt die Unschuld in der Begierde: und nun verleumdet ihr drum das Begehren!

    Wahrlich, nicht als Schaffende, Zeugende, Werdelustige liebt ihr die Erde!

    Wo ist Unschuld? Wo der Wille zur Zeugung ist. Und wer über sich hinaus schaffen will, der hat mir den reinsten Willen.

    Wo ist Schönheit? Wo ich mit allem Willen wollen muss; wo ich lieben und untergehn will, dass ein Bild nicht nur Bild bleibe.

    Lieben und Untergehn: das reimt sich seit Ewigkeiten. Wille zur Liebe: das ist, willig auch sein zum Tode. Also rede ich zu euch Feiglingen!

    Aber nun will euer entmanntes Schielen »Beschaulichkeit« heissen! Und was mit feigen Augen sich tasten lässt, soll »schön« getauft werden! oh, ihr Beschmutzer edler Namen!

    Aber das soll euer Fluch sein, ihr Unbefleckten, ihr Rein-Erkennenden, dass ihr nie gebären werdet: und wenn ihr auch breit und trächtig am Horizonte liegt!

    Wahrlich, ihr nehmt den Mund voll mit edlen Worten: und wir sollen glauben, dass euch das Herz übergehe, ihr Lügenbolde?

    Aber meine Worte sind geringe, verachtete: gerne nehme ich auf, was bei eurer Mahlzeit unter den Tisch fällt.

    Immer noch kann ich mit ihnen – Heuchlern die Wahrheit sagen! ja, meine Gräten, Muscheln und Stachelblätter sollen – Heuchlern die Nasen kitzeln!

    Schlechte Luft ist immer um euch und eure Mahlzeiten: eure lüsternen Gedanken, eure Lügen und Heimlichkeiten sind ja in der Luft!

    Wagt es doch erst, euch selber zu glauben – euch und euren Eingeweiden! Wer sich selber nicht glaubt, lügt immer.

    Eines Gottes Larve hängtet ihr um vor euch selber, ihr »Reinen«: in eines Gottes Larve verkroch sich euer greulicher Ringelwurm.

    Wahrlich, ihr täuscht, ihr »Beschaulichen«! Auch Zarathustra war einst der Narr eurer göttlichen Häute; nicht errieth er das Schlangengeringel, mit denen sie gestopft waren.

    Eines Gottes Seele wähnte ich einst spielen zu sehn in euren Spielen, ihr Rein-Erkennenden! Keine bessere Kunst wähnte ich einst als eure Künste!

    Schlangen-Unflath und schlimmen Geruch verhehlte mir die Ferne: und dass einer Eidechse List lüstern hier herumschlich.

    Aber ich kam euch nah: da kam mir der Tag – und nun kommt er euch, – zu Ende gieng des Mondes Liebschaft!

    Seht doch hin! Ertappt und bleich steht er da – vor der Morgenröthe!

    Denn schon kommt sie, die Glühende, – ihre Liebe zur Erde kommt! Unschuld und Schöpfer-Begier ist alle Sonnen-Liebe!

    Seht doch hin, wie sie ungeduldig über das Meer kommt! Fühlt ihr den Durst und den heissen Athem ihrer Liebe nicht?

    Am Meere will sie saugen und seine Tiefe zu sich in die Höhe trinken: da hebt sich die Begierde des Meeres mit tausend Brüsten.

    Geküsst und gesaugt will es sein vom Durste der Sonne; Luft will es werden und Höhe und Fusspfad des Lichts und selber Licht!

    Wahrlich, der Sonne gleich liebe ich das Leben und alle tiefen Meere.

    Und diess heisst mir Erkenntniss: alles Tiefe soll hinauf – zu meiner Höhe!

    Also sprach Zarathustra.

                                               Von den Gelehrten

    Als ich im Schlafe lag, da frass ein Schaf am Epheukranze meines Hauptes, – frass und sprach dazu: »Zarathustra ist kein Gelehrter mehr.«

    Sprach's und gieng stotzig davon und stolz. Ein Kind erzählte mir's.

    Gerne liege ich hier, wo die Kinder spielen, an der zerbrochnen Mauer, unter Disteln und rothen Mohnblumen.

    Ein Gelehrter bin ich den Kindern noch und auch den Disteln und rothen Mohnblumen. Unschuldig sind sie, selbst noch in ihrer Bosheit.

    Aber den Schafen bin ich's nicht mehr: so will es mein Loos – gesegnet sei es!

    Denn diess ist die Wahrheit: ausgezogen bin ich aus dem Hause der Gelehrten: und die Thür habe ich noch hinter mir zugeworfen.

    Zu lange sass meine Seele hungrig an ihrem Tische; nicht, gleich ihnen, bin ich auf das Erkennen abgerichtet wie auf das Nüsseknacken.

    Freiheit liebe ich und die Luft über frischer Erde; lieber noch will ich auf Ochsenhäuten schlafen, als auf ihren Würden und Achtbarkeiten.

    Ich bin zu heiss und verbrannt von eigenen Gedanken: oft will es mir den Athem nehmen. Da muss ich in's Freie und weg aus allen verstaubten Stuben.

    Aber sie sitzen kühl in kühlem Schatten: sie wollen in Allem nur Zuschauer sein und hüten sich dort zu sitzen, wo die Sonne auf die Stufen brennt.

    Gleich Solchen, die auf der Strasse stehn und die Leute angaffen, welche vorübergehn: also warten sie auch und gaffen Gedanken an, die Andre gedacht haben.

    Greift man sie mit Händen, so stäuben sie um sich gleich Mehlsäcken, und unfreiwillig. aber wer erriethe wohl, dass ihr Staub vom Korne stammt und von der gelben Wonne der Sommerfelder?

    Geben sie sich weise, so fröstelt mich ihrer kleinen Sprüche und Wahrheiten: ein Geruch ist oft an ihrer Weisheit, als ob sie aus dem Sumpfe stamme: und wahrlich, ich hörte auch schon den Frosch aus ihr quaken!

    Geschickt sind sie, sie haben kluge Finger: was will meine Einfalt bei ihrer Vielfalt! Alles Fädeln und Knüpfen und Weben verstehn ihre Finger: also wirken sie die Strümpfe des Geistes!

    Gute Uhrwerke sind sie: nur sorge man, sie richtig aufzuziehn! Dann zeigen sie ohne Falsch die Stunde an und machen einen bescheidnen Lärm dabei.

    Gleich Mühlwerken arbeiten sie und Stampfen: man werfe ihnen nur seine Fruchtkörner zu! – sie wissen schon, Korn klein zu mahlen und weissen Staub daraus zu machen.

    Sie sehen einander gut auf die Finger und trauen sich nicht zum Besten. Erfinderisch in kleinen Schlauheiten warten sie auf Solche, deren Wissen auf lahmen Füssen geht, – gleich Spinnen warten sie.

    Ich sah sie immer mit Vorsicht Gift bereiten; und immer zogen sie gläserne Handschuhe dabei an ihre Finger.

    Auch mit falschen Würfeln wissen sie zu spielen; und so eifrig fand ich sie spielen, dass sie dabei schwitzten.

    Wir sind einander fremd, und ihre Tugenden gehn mir noch mehr wider den Geschmack, als ihre Falschheiten und falschen Würfel.

    Und als ich bei ihnen wohnte, da wohnte ich über ihnen. Darüber wurden sie mir gram.

    Sie wollen Nichts davon hören, dass Einer über ihren Köpfen wandelt; und so legten sie Holz und Erde und Unrath zwischen mich und ihre Köpfe.

    Also dämpften sie den Schall meiner Schritte: und am schlechtesten wurde ich bisher von den Gelehrtesten gehört.

    Aller Menschen Fehl und Schwäche legten sie zwischen sich und mich: – »Fehlboden« heissen sie das in ihren Häusern.

    Aber trotzdem wandele ich mit meinen Gedanken über ihren Köpfen; und selbst, wenn ich auf meinen eignen Fehlern wandeln wollte, würde ich noch über ihnen sein und ihren Köpfen.

    Denn die Menschen sind nicht gleich: so spricht die Gerechtigkeit. Und was ich will, dürften sie nicht wollen!

    Also sprach Zarathustra.

                                         Von den Dichtern

    »Seit ich den Leib besser kenne, – sagte Zarathustra zu einem seiner Jünger – ist mir der Geist nur noch gleichsam Geist; und alles das »Unvergängliche« – das ist auch nur ein Gleichniss.«

»    So hörte ich dich schon einmal sagen, antwortete der Jünger; und damals fügtest du hinzu: »aber die Dichter lügen zuviel.« Warum sagtest du doch, dass die Dichter zuviel lügen?«

    »Warum? sagte Zarathustra. Du fragst warum? Ich gehöre nicht zu Denen, welche man nach ihrem Warum fragen darf.

    Ist denn mein Erleben von Gestern? Das ist lange her, dass ich die Gründe meiner Meinungen erlebte.

    Müsste ich nicht ein Fass sein von Gedächtniss, wenn ich auch meine Gründe bei mir haben wollte?

    Schon zuviel ist mir's, meine Meinungen selber zu behalten; und mancher Vogel fliegt davon.

    Und mitunter finde ich auch ein zugezogenes Thier in meinem Taubenschlage, das mir fremd ist, und das zittert, wenn ich meine Hand darauf lege.

    Doch was sagte dir einst Zarathustra? Dass die Dichter zuviel lügen? – Aber auch Zarathustra ist ein Dichter.

    Glaubst du nun, dass er hier die Wahrheit redete? Warum glaubst du das?«

    Der Jünger antwortete: »ich glaube an Zarathustra.« Aber Zarathustra schüttelte den Kopf und lächelte.

    Der Glaube macht mich nicht selig, sagte er, zumal nicht der Glaube an mich.

    Aber gesetzt, dass jemand allen Ernstes sagte, die Dichter lügen zuviel: so hat er Recht, – wir lügen zuviel.

    Wir wissen auch zu wenig und sind schlechte Lerner: so müssen wir schon lügen.

    Und wer von uns Dichtern hätte nicht seinen Wein verfälscht? Manch giftiger Mischmasch geschah in unsern Kellern, manches Unbeschreibliche ward da gethan.

    Und weil wir wenig wissen, so gefallen uns von Herzen die geistig Armen, sonderlich wenn es junge Weibchen sind!

    Und selbst nach den Dingen sind wir noch begehrlich, die sich die alten Weibchen Abends erzählen. Das heissen wir selber an uns das Ewig-Weibliche.

    Und als ob es einen besondren geheimen Zugang zum Wissen gäbe, der sich Denen verschütte, welche Etwas lernen: so glauben wir an das Volk und seine »Weisheit.«

    Das aber glauben alle Dichter: dass wer im Grase oder an einsamen Gehängen liegend die Ohren spitze, Etwas von den Dingen erfahre, die zwischen Himmel und Erde sind.

    Und kommen ihnen zärtliche Regungen, so meinen die Dichter immer, die Natur selber sei in sie verliebt:

    Und sie schleiche zu ihrem Ohre, Heimliches hinein zu sagen und verliebte Schmeichelreden: dessen brüsten und blähen sie sich vor allen Sterblichen!

    Ach, es giebt so viel Dinge zwischen Himmel und Erden, von denen sich nur die Dichter Etwas haben träumen lassen!

    Und zumal über dem Himmel: denn alle Götter sind Dichter-Gleichniss, Dichter-Erschleichniss!

    Wahrlich, immer zieht es uns hinan – nämlich zum Reich der Wolken: auf diese setzen wir unsre bunten Bälge und heissen sie dann Götter und Übermenschen: –

    Sind sie doch gerade leicht genug für diese Stühle! – alle diese Götter und Übermenschen.

    Ach, wie bin ich all des Unzulänglichen müde, das durchaus Ereigniss sein soll! Ach, wie bin ich der Dichter müde!

    Als Zarathustra so sprach, zürnte ihm sein Jünger, aber er schwieg. Und auch Zarathustra schwieg; und sein Auge hatte sich nach innen gekehrt, gleich als ob es in weite Fernen sähe. Endlich seufzte er und holte Athem.

    Ich bin von Heute und Ehedem, sagte er dann; aber Etwas ist in mir, das ist von Morgen und übermorgen und Einstmals.

    Ich wurde der Dichter müde, der alten und der neuen: Oberflächliche sind sie mir Alle und seichte Meere.

    Sie dachten nicht genug in die Tiefe: darum sank ihr Gefühl nicht bis zu den Gründen.

    Etwas Wollust und etwas Langeweile: das ist noch ihr bestes Nachdenken gewesen.

    Gespenster-Hauch und –Huschen gilt mir all ihr Harfen-Klingklang; was wussten sie bisher von der Inbrunst der Töne! –

    Sie sind mir auch nicht reinlich genug: sie trüben Alle ihr Gewässer, dass es tief scheine.

    Und gerne geben sie sich damit als Versöhner: aber Mittler und Mischer bleiben sie mir und Halb-und-Halbe und Unreinliche! –

    Ach, ich warf wohl mein Netz in ihre Meere und wollte gute Fische fangen; aber immer zog ich eines alten Gottes Kopf herauf.

    So gab dem Hungrigen das Meer einen Stein. Und sie selber mögen wohl aus dem Meere stammen.

    Gewiss, man findet Perlen in ihnen: um so ähnlicher sind sie selber harten Schalthieren. Und statt der Seele fand ich oft bei ihnen gesalzenen Schleim.

    Sie lernten vom Meere auch noch seine Eitelkeit: ist nicht das Meer der Pfau der Pfauen?

    Noch vor dem hässlichsten aller Büffel rollt es seinen Schweif hin, nimmer wird es seines Spitzenfächers von Silber und Seide müde.

    Trutzig blickt der Büffel dazu, dem Sande nahe in seiner Seele, näher noch dem Dickicht, am nächsten aber dem Sumpfe.

    Was ist ihm Schönheit und Meer und Pfauen-Zierath! Dieses Gleichniss sage ich den Dichtern.

    Wahrlich, ihr Geist selber ist der Pfau der Pfauen und ein Meer von Eitelkeit!

    Zuschauer will der Geist des Dichters: sollten's auch Büffel sein! –

    Aber dieses Geistes wurde ich müde: und ich sehe kommen, dass er seiner selber müde wird.

    Verwandelt sah ich schon die Dichter und gegen sich selber den Blick gerichtet.

    Büsser des Geistes sah ich kommen: die wuchsen aus ihnen.

    Also sprach Zarathustra.

                                  Von grossen Ereignissen

    Es giebt eine Insel im Meere – unweit den glückseligen Inseln Zarathustra's – auf welcher beständig ein Feuerberg raucht; von der sagt das Volk, und sonderlich sagen es die alten Weibchen aus dem Volke, dass sie wie ein Felsblock vor das Thor der Unterwelt gestellt sei: durch den Feuerberg selber aber führe der schmale Weg abwärts, der zu diesem Thore der Unterwelt geleite.

    Um jene Zeit nun, als Zarathustra auf den glückseligen Inseln weilte, geschah es, dass ein Schiff an der Insel Anker warf, auf welcher der rauchende Berg steht; und seine Mannschaft gieng an's Land, um Kaninchen zu schiessen. Gegen die Stunde des Mittags aber, da der Capitän und seine Leute wieder beisammen waren, sahen sie plötzlich durch die Luft einen Mann auf sich zukommen, und eine Stimme sagte deutlich: »es ist Zeit! Es ist die höchste Zeit!« Wie die Gestalt ihnen aber am nächsten war – sie flog aber schnell gleich einem Schatten vorbei, in der Richtung, wo der Feuerberg lag – da erkannten sie mit grösster Bestürzung, dass es Zarathustra sei; denn sie hatten ihn Alle schon gesehn, ausgenommen der Capitän selber, und sie liebten ihn, wie das Volk liebt: also dass zu gleichen Theilen Liebe und Scheu beisammen sind.

    »Seht mir an! sagte der alte Steuermann, da fährt Zarathustra zur Hölle!« –

    Um die gleiche Zeit, als diese Schiffer an der Feuerinsel landeten, lief das Gerücht umher, dass Zarathustra verschwunden sei; und als man seine Freunde fragte, erzählten sie, er sei bei Nacht zu Schiff gegangen, ohne zu sagen, wohin er reisen wolle.

    Also entstand eine Unruhe; nach drei Tagen aber kam zu dieser Unruhe die Geschichte der Schiffsleute hinzu – und nun sagte alles Volk, dass der Teufel Zarathustra geholt habe. Seine jünger lachten zwar ob dieses Geredes; und einer von ihnen sagte sogar: »eher glaube ich noch, dass Zarathustra sich den Teufel geholt hat.' Aber im Grunde der Seele waren sie Alle voll Besorgniss und Sehnsucht: so war ihre Freude gross, als am fünften Tage Zarathustra unter ihnen erschien.

    Und diess ist die Erzählung von Zarathustra's Gespräch mit dem Feuerhunde.

    Die Erde, sagte er, hat eine Haut; und diese Haut hat Krankheiten. Eine dieser Krankheiten heisst zum Beispiel: »Mensch.«

    Und eine andere dieser Krankheiten heisst »Feuerhund«: über den haben sich die Menschen Viel vorgelogen und vorlügen lassen.

    Diess Geheimniss zu ergründen gieng ich über das Meer: und ich habe die Wahrheit nackt gesehn, wahrlich! barfuss bis zum Halse.

    Was es mit dem Feuerhund auf sich hat, weiss ich nun; und insgleichen mit all den Auswurf- und Umsturz-Teufeln, vor denen sich nicht nur alte Weibchen fürchten.

    Heraus mit dir, Feuerhund, aus deiner Tiefe! rief ich, und bekenne, wie tief diese Tiefe ist! Woher ist das, was du da heraufschnaubst?

    Du trinkst reichlich am Meere: das verräth deine versalzte Beredsamkeit! Fürwahr, für einen Hund der Tiefe nimmst du deine Nahrung zu sehr von der Oberfläche!

    Höchstens für den Bauchredner der Erde halt' ich dich: und immer, wenn ich Umsturz- und Auswurf-Teufel reden hörte, fand ich sie gleich dir: gesalzen, lügnerisch und flach.

    Ihr versteht zu brüllen und mit Asche zu verdunkeln! Ihr seid die besten Grossmäuler und lerntet sattsam die Kunst, Schlamm heiss zu sieden.

    Wo ihr seid, da muss stets Schlamm in der Nähe sein, und viel Schwammichtes, Höhlichtes, Eingezwängtes: das will in die Freiheit.

    »Freiheit« brüllt ihr Alle am liebsten: aber ich verlernte den Glauben an »grosse Ereignisse,« sobald viel Gebrüll und Rauch um sie herum ist.

    Und glaube mir nur, Freund Höllenlärm! Die grössten Ereignisse – das sind nicht unsre lautesten, sondern unsre stillsten Stunden.

    Nicht um die Erfinder von neuem Lärme: um die Erfinder von neuen Werthen dreht sich die Welt; unhörbar dreht sie sich.

    Und gesteh es nur! Wenig war immer nur geschehn, wenn dein Lärm und Rauch sich verzog. Was liegt daran, dass eine Stadt zur Mumie wurde, und eine Bildsäule im Schlamme liegt!

    Und diess Wort sage ich noch den Umstürzern von Bildsäulen. Das ist wohl die grösste Thorheit, Salz in's Meer und Bildsäulen in den Schlamm zu werfen.

    Im Schlamme eurer Verachtung lag die Bildsäule: aber das ist gerade ihr Gesetz, dass ihr aus der Verachtung wieder Leben und lebende Schönheit wächst!

    Mit göttlicheren Zügen steht sie nun auf und leidendverführerisch; und wahrlich! sie wird euch noch Dank sagen, dass ihr sie umstürztet, ihr Umstürzer!

    Diesen Rath aber rathe ich Königen und Kirchen und Allem, was alters- und tugendschwach ist – lasst euch nur umstürzen! Dass ihr wieder zum Leben kommt, und zu euch – die Tugend! –

    Also redete ich vor dem Feuerhunde: da unterbrach er mich mürrisch und fragte: »Kirche? Was ist denn das?«

    Kirche? antwortete ich, das ist eine Art von Staat, und zwar die verlogenste. Doch schweig still, du Heuchelhund! Du kennst deine Art wohl am besten schon!

    Gleich dir selber ist der Staat ein Heuchelhund; gleich dir redet er gern mit Rauch und Gebrülle, – dass er glauben mache, gleich dir, er rede aus dem Bauch der Dinge.

    Denn er will durchaus das wichtigste Thier auf Erden sein, der Staat; und man glaubt's ihm auch. –

    Als ich das gesagt hatte, gebärdete sich der Feuerhund wie unsinnig vor Neid. »Wie? schrie er, das wichtigste Thier auf Erden? Und man glaubt's ihm auch?« Und so viel Dampf und grässliche Stimmen kamen ihm aus dem Schlunde, dass ich meinte, er werde vor Arger und Neid ersticken.

    Endlich wurde er stiller, und sein Keuchen liess nach; sobald er aber stille war, sagte ich lachend:

    »Du ärgerst dich, Feuerhund: also habe ich über dich Recht!

    Und dass ich auch noch Recht behalte, so höre von einem andern Feuerhunde: der spricht wirklich aus dem Herzen der Erde.

    Gold haucht sein Athem und goldigen Regen: so will's das Herz ihm. Was ist ihm Asche und Rauch und heisser Schleim noch!

    Lachen flattert aus ihm wie ein buntes Gewölke; abgünstig ist er deinem Gurgeln und Speien und Grimmen der Ein- geweide!

    Das Gold aber und das Lachen – das nimmt er aus dem Herzen der Erde: denn dass du's nur weisst, – das Herz der Erde ist von Gold.«

    Als diess der Feuerhund vernahm, hielt er's nicht mehr aus, mir zuzuhören. Beschämt zog er seinen Schwanz ein, sagte auf eine kleinlaute Weise Wau! Wau! und kroch hinab in seine Höhle. –

    Also erzählte Zarathustra. Seine Jünger aber hörten ihm kaum zu: so gross war ihre Begierde, ihm von den Schiffsleuten, den Kaninchen und dem fliegenden Manne zu erzählen.

    »Was soll ich davon denken! sagte Zarathustra. Bin ich denn ein Gespenst?

    Aber es wird mein Schatten gewesen sein. Ihr hörtet wohl schon Einiges vom Wanderer und seinem Schatten?

    Sicher aber ist das: ich muss ihn kürzer halten, – er verdirbt mir sonst noch den Ruf.«

    Und nochmals schüttelte Zarathustra den Kopf und wunderte sich. »Was soll ich davon denken!« sagte er nochmals.

    »Warum schrie denn das Gespenst: es ist Zeit! Es ist die höchste Zeit!

    Wozu ist es denn – höchste Zeit?« –

    Also sprach Zarathustra.

                                           Der Wahrsager

    »- und ich sahe eine grosse Traurigkeit über die Menschen kommen. Die Besten wurden ihrer Werke müde.

    Eine Lehre ergieng, ein Glauben lief neben ihr: »Alles ist leer, Alles ist gleich, Alles war!«

    Und von allen Hügeln klang es wieder: »Alles ist leer, Alles ist gleich, Alles war!«

    Wohl haben wir geerntet: aber warum wurden alle Früchte uns faul und braun? Was fiel vom bösen Monde bei der letzten Nacht hernieder?

    Umsonst war alle Arbeit, Gift ist unser Wein geworden, böser Blick sengte unsre Felder und Herzen gelb.

    Trocken wurden wir Alle; und fällt Feuer auf uns, so stäuben wir der Asche gleich: – ja das Feuer selber machten wir müde.

    Alle Brunnen versiegten uns, auch das Meer wich zurück. Aller Grund will reissen, aber die Tiefe will nicht schlingen!

    »Ach, wo ist noch ein Meer, in dem man ertrinken könnte«: so klingt unsre Klage – hinweg über flache Sümpfe.

    Wahrlich, zum Sterben wurden wir schon zu müde; nun wachen wir noch und leben fort – in Grabkammern!« –

    Also hörte Zarathustra einen Wahrsager reden; und seine Weissagung gieng ihm zu Herzen und verwandelte ihn. Traurig gieng er umher und müde; und er wurde Denen gleich, von welchen der Wahrsager geredet hatte.

    Wahrlich, so sagte er zu seinen Jüngern, es ist um ein Kleines, so kommt diese lange Dämmerung. Ach, wie soll ich mein Licht hinüber retten!

    Dass es mir nicht ersticke in dieser Traurigkeit! Ferneren Welten soll es ja Licht sein und noch fernsten Nächten!

    Dergestalt im Herzen bekümmert gieng Zarathustra umher; und drei Tage lang nahm er nicht Trank und Speise zu sich, hatte keine Ruhe und verlor die Rede. Endlich geschah es, dass er in einen tiefen Schlaf verfiel. Seine jünger aber sassen um ihn in langen Nachtwachen und warteten mit Sorge, ob er wach werde und wieder rede und genesen sei von seiner Trübsal.

    Diess aber ist die Rede, welche Zarathustra sprach, als er aufwachte; seine Stimme aber kam zu seinen Jüngern wie aus weiter Ferne.

    Hört mir doch den Traum, den ich träumte, ihr Freunde, und helft mir seinen Sinn rathen!

    Ein Räthsel ist er mir noch, dieser Traum; sein Sinn ist verborgen in ihm und eingefangen und fliegt noch nicht über ihn hin mit freien Flügeln.

    Allem Leben hatte ich abgesagt, so träumte mir. Zum Nacht- und Grabwächter war ich worden, dort auf der einsamen Berg-Burg des Todes.

    Droben hütete ich seine Särge: voll standen die dumpfen Gewölbe von solchen Siegeszeichen. Aus gläsernen Särgen blickte mich überwundenes Leben an.

    Den Geruch verstaubter Ewigkeiten athmete ich: schwül und verstaubt lag meine Seele. Und wer hätte dort auch seine Seele lüften können!

    Helle der Mitternacht war immer um mich, Einsamkeit kauerte neben ihr; und, zudritt, röchelnde Todesstille, die schlimmste meiner Freundinnen.

    Schlüssel führte ich, die rostigsten aller Schlüssel; und ich verstand es, damit das knarrendste aller Thore zu öffnen.

    Einem bitterbösen Gekrächze gleich lief der Ton durch die langen Gänge, wenn sich des Thores Flügel hoben: unhold schrie dieser Vogel, ungern wollte er geweckt sein.

    Aber furchtbarer noch und herzzuschnürender war es, wenn es wieder schwieg und rings stille ward, und ich allein sass in diesem tückischen Schweigen.

    So gieng mir und schlich die Zeit, wenn Zeit es noch gab: was weiss ich davon! Aber endlich geschah das, was mich weckte.

    Dreimal schlugen Schläge an's Thor, gleich Donnern, es hallten und heulten die Gewölbe dreimal wieder: da gieng ich zum Thore.

    Alpa! rief ich, wer trägt seine Asche zu Berge? Alpa! Alpa! Wer trägt seine Asche zu Berge?

    Und ich drückte den Schlüssel und hob am Thore und mühte mich. Aber noch keinen Fingerbreit stand es offen:

    Da riss ein brausender Wind seine Flügel auseinander: pfeifend, schrillend und schneidend warf er mir einen schwarzen Sarg zu:

    Und im Brausen und Pfeifen und Schrillen zerbarst der Sarg und spie tausendfältiges Gelächter aus.

    Und aus tausend Fratzen von Kindern, Engeln, Eulen, Narren und kindergrossen Schmetterlingen lachte und höhnte und brauste es wider mich.

    Grässlich erschrak ich darob: es warf mich nieder. Und ich schrie vor Grausen, wie nie ich schrie.

    Aber der eigne Schrei weckte mich auf: – und ich kam zu mir. –

    Also erzählte Zarathustra seinen Traum und schwieg dann: denn er wusste noch nicht die Deutung seines Traumes. Aber der jünger, den er am meisten lieb hatte, erhob sich schnell, fasste die Hand Zarathustra's und sprach:

    »Dein Leben selber deutet uns diesen Traum, oh Zarathustra!

    Bist du nicht selber der Wind mit schrillem Pfeifen, der den Burgen des Todes die Thore aufreisst?

    Bist du nicht selber der Sarg voll bunter Bosheiten und Engelsfratzen des Lebens?

    Wahrlich, gleich tausendfältigem Kindsgelächter kommt Zarathustra in alle Todtenkammern, lachend über diese Nacht- und Grabwächter, und wer sonst mit düstern Schlüsseln rasselt.

    Schrecken und umwerfen wirst du sie mit deinem Gelächter; Ohnmacht und Wachwerden wird deine Macht über sie beweisen.

    Und auch, wenn die lange Dämmerung kommt und die Todesmüdigkeit, wirst du an unserm Himmel, nicht untergehn, du Fürsprecher des Lebens!

    Neue Sterne liessest du uns sehen und neue Nachtherrlichkeiten; wahrlich, das Lachen selber spanntest du wie ein buntes Gezelt über uns.

    Nun wird immer Kindes-Lachen aus Särgen quellen; nun wird immer siegreich ein starker Wind kommen aller Todesmüdigkeit: dessen bist du uns selber Bürge und Wahrsager!

    Wahrlich, sie selber träumtest du, deine Feinde: das war dein schwerster Traum!

    Aber wie du von ihnen aufwachtest und zu dir kamst, also sollen sie selber von sich aufwachen – und zu dir kommen!« –

    So sprach der jünger; und alle Anderen drängten sich nun um Zarathustra und ergriffen ihn bei den Händen und wollten ihn bereden, dass er vom Bette und von der Traurigkeit lasse und zu ihnen zurückkehre. Zarathustra aber sass aufgerichtet auf seinem Lager, und mit fremdem Blicke. Gleichwie Einer, der aus langer Fremde heimkehrt, sah er auf seine Jünger und prüfte ihre Gesichter; und noch erkannte er sie nicht. Als sie aber ihn hoben und auf die Füsse stellten, siehe, da verwandelte sich mit Einem Male sein Auge; er begriff Alles, was geschehen war, strich sich den Bart und sagte mit starker Stimme:

    »Wohlan! Diess nun hat seine Zeit; sorgt mir aber dafür, meine jünger, dass wir eine gute Mahlzeit machen, und in Kürze! Also gedenke ich Busse zu thun für schlimme Träume!

    Der Wahrsager aber soll an meiner Seite essen und trinken: und wahrlich, ich will ihm noch ein Meer zeigen, in dem er ertrinken kann!«

    Also sprach Zarathustra. Darauf aber blickte er dem jünger, welcher den Traumdeuter abgegeben hatte, lange in's Gesicht und schüttelte dabei den Kopf. –

                                         Von der Erlösung

    Als Zarathustra eines Tags über die grosse Brücke gieng, umringten ihn die Krüppel und Bettler, und ein Bucklichter redete also zu ihm:

    »Siehe, Zarathustra! Auch das Volk lernt von dir und gewinnt Glauben an deine Lehre: aber dass es ganz dir glauben soll, dazu bedarf es noch Eines – du musst erst noch uns Krüppel überreden! Hier hast du nun eine schöne Auswahl und wahrlich, eine Gelegenheit mit mehr als Einem Schopfe! Blinde kannst du heilen und Lahme laufen machen; und Dem, der zuviel hinter sich hat, könntest du wohl auch ein Wenig abnehmen: – das, meine ich, wäre die rechte Art, die Krüppel an Zarathustra glauben zu machen!«

    Zarathustra aber erwiderte Dem, der da redete, also: »Wenn man dem Bucklichten seinen Buckel nimmt, so nimmt man ihm seinen Geist – also lehrt das Volk. Und wenn man dem Blinden seine Augen giebt, so sieht er zuviel schlimme Dinge auf Erden: also dass er Den verflucht, der ihn heilte. Der aber, welcher den Lahmen laufen macht, der thut ihm den grössten Schaden an: denn kaum kann er laufen, so gehn seine Laster mit ihm durch – also lehrt das Volk über Krüppel. Und warum sollte Zarathustra nicht auch vom Volke lernen, wenn das Volk von Zarathustra lernt?

    Das ist mir aber das Geringste, seit ich unter Menschen bin, dass ich sehe: »Diesem fehlt ein Auge und jenem ein Ohr und einem Dritten das Bein, und Andre giebt es, die verloren die Zunge oder die Nase oder den Kopf.«

    Ich sehe und sah Schlimmeres und mancherlei so Abscheuliches, dass ich nicht von Jeglichem reden und von Einigem nicht einmal schweigen möchte: nämlich Menschen, denen es an Allem fehlt, ausser dass sie Eins zuviel haben – Menschen, welche Nichts weiter sind als ein grosses Auge, oder ein grosses Maul oder ein grosser Bauch oder irgend etwas Grosses, – umgekehrte Krüppel heisse ich Solche.

    Und als ich aus meiner Einsamkeit kam und zum ersten Male über diese Brücke gieng: da traute ich meinen Augen nicht und sah hin, und wieder hin, und sagte endlich: »das ist ein Ohr! Ein Ohr, so gross wie ein Mensch!« Ich sah noch besser hin: und wirklich, unter dem Ohre bewegte sich noch Etwas, das zum Erbarmen klein und ärmlich und schmächtig war. Und wahrhaftig, das ungeheure Ohr sass auf einem kleinen dünnen Stiele, – der Stiel aber war ein Mensch! Wer ein Glas vor das Auge nahm, konnte sogar noch ein kleines neidisches Gesichtchen erkennen; auch, dass ein gedunsenes Seelchen am Stiele baumelte. Das Volk sagte mir aber, das grosse Ohr sei nicht nur ein Mensch, sondern ein grosser Mensch, ein Genie. Aber ich glaubte dem Volke niemals, wenn es von grossen Menschen redete – und behielt meinen Glauben bei, dass es ein umgekehrter Krüppel sei, der an Allem zu wenig und an Einem zu viel habe.«

    Als Zarathustra so zu dem Bucklichten geredet hatte und zu Denen, welchen er Mundstück und Fürsprecher war, wandte er sich mit tiefem Unmuthe zu seinen Jüngern und sagte:

    »Wahrlich, meine Freunde, ich wandle unter den Menschen wie unter den Bruchstücken und Gliedmaassen von Menschen!

    Diess ist meinem Auge das Fürchterliche, dass ich den Menschen zertrümmert finde und zerstreuet wie über ein Schlacht- und Schlächterfeld hin.

    Und flüchtet mein Auge vom Jetzt zum Ehemals: es findet immer das Gleiche: Bruchstücke und Gliedmaassen und grause Zufälle – aber keine Menschen!

    Das jetzt und das Ehemals auf Erden – ach! meine Freunde – das, ist mein Unerträglichstes; und ich wüsste nicht zu leben, wenn ich nicht noch ein Seher wäre, dessen, was kommen muss.

    Ein Seher, ein Wollender, ein Schaffender, eine Zukunft selber und eine Brücke zur Zukunft – und ach, auch noch gleichsam ein Krüppel an dieser Brücke: das Alles ist Zarathustra.

    Und auch ihr fragtet euch oft: »wer ist uns Zarathustra? Wie soll er uns heissen?« Und gleich mir selber gabt ihr euch Fragen zur Antwort.

    Ist er ein Versprechender? Oder ein Erfüller? Ein Erobernder? Oder ein Erbender? Ein Herbst? Oder eine Pflugschar? Ein Arzt? Oder ein Genesener?

    Ist er ein Dichter? Oder ein Wahrhaftiger? Ein Befreier? Oder ein Bändiger? Ein Guter? Oder ein Böser?

    Ich wandle unter Menschen als den Bruchstücken der Zukunft: jener Zukunft, die ich schaue.

    Und das ist all mein Dichten und Trachten, dass ich in Eins dichte und zusammentragen was Bruchstück ist und Räthsel und grauser Zufall.

    Und wie ertrüge ich es, Mensch zu sein, wenn der Mensch nicht auch Dichter und Räthselrather und der Erlöser des Zufalls wäre!

    Die Vergangnen zu erlösen und alles »Es war« umzuschaffen in ein »So wollte ich es!« – das hiesse mir erst Erlösung!

    Wille – so heisst der Befreier und Freudebringer: also lehrte ich euch, meine Freunde! Und nun lernt diess hinzu: der Wille selber ist noch ein Gefangener.

    Wollen befreit: aber wie heisst Das, was auch den Befreier noch in Ketten schlägt?

    »Es war«: also heisst des Willens Zähneknirschen und einsamste Trübsal. Ohnmächtig gegen Das, was gethan ist – ist er allem Vergangenen ein böser Zuschauer.

    Nicht zurück kann der Wille wollen; dass er die Zeit nicht brechen kann und der Zeit Begierde, – das ist des Willens einsamste Trübsal.

    Wollen befreit: was ersinnt sich das Wollen selber, dass es los seiner Trübsal werde und seines Kerkers spotte?

    Ach, ein Narr wird jeder Gefangene! Närrisch erlöst sich auch der gefangene Wille.

    Dass die Zeit nicht zurückläuft, das ist sein Ingrimm; »Das, was war« – so heisst der Stein, den er nicht wälzen kann.

    Und so wälzt er Steine aus Ingrimm und Unmuth und übt Rache an dem, was nicht gleich ihm Grimm und Unmuth fühlt.

    Also wurde der Wille, der Befreier, ein Wehethäter: und an Allem, was leiden kann, nimmt er Rache dafür, dass er nicht zurück kann.

    Diess, ja diess allein ist Rache selber: des Willens Widerwille gegen die Zeit und ihr »Es war.«

    Wahrlich, eine grosse Narrheit wohnt in unserm Willen; und zum Fluche wurde es allem Menschlichen, dass diese Narrheit Geist lernte!

    Der Geist der Rache: meine Freunde, das war bisher der Menschen bestes Nachdenken; und wo Leid war, da sollte immer Strafe sein.

    »Strafe« nämlich, so heisst sich die Rache selber: mit einem Lügenwort heuchelt sie sich ein gutes Gewissen.

    Und weil im Wollenden selber Leid ist, darob dass es nicht zurück wollen kann, – also sollte Wollen selber und alles Leben – Strafe sein!

    Und nun wälzte sich Wolke auf Wolke über den Geist: bis endlich der Wahnsinn predigte: »Alles vergeht, darum ist Alles werth zu vergehn!«

    »Und diess ist selber Gerechtigkeit, jenes Gesetz der Zeit, dass sie ihre Kinder fressen muss«: also predigte der Wahnsinn.

    »Sittlich sind die Dinge geordnet nach Recht und Strafe. Oh wo ist die Erlösung vom Fluss der Dinge und der Strafe Dasein«? Also predigte der Wahnsinn.

    »Kann es Erlösung geben, wenn es ein ewiges Recht giebt? Ach, unwälzbar ist der Stein »Es war«: ewig müssen auch alle Strafen sein!« Also predigte der Wahnsinn.

    »Keine That kann vernichtet werden: wie könnte sie durch die Strafe ungethan werden! Diess, diess ist das Ewige an der Strafe »Dasein«, dass das Dasein auch ewig wieder That und Schuld sein muss!

    »Es sei denn, dass der Wille endlich sich selber erlöste und Wollen zu Nicht-Wollen würde –«: doch ihr kennt, meine Brüder, diess Fabellied des Wahnsinns!

    Weg führte ich euch von diesen Fabelliedern, als ich euch lehrte: »der Wille ist ein Schaffender.«

    Alles »Es war« ist ein Bruchstück, ein Räthsel, ein grauser Zufall – bis der schaffende Wille dazu sagt: aber so wollte ich es!«

    Bis der schaffende Wille dazu sagt: »Aber so will ich es! So werde ich's wollen!«

    Aber sprach er schon so? Und wann geschieht diess? Ist der Wille schon abgeschirrt von seiner eignen Thorheit?

    Wurde der Wille sich selber schon Erlöser und Freudebringer? Verlernte er den Geist der Rache und alles Zähneknirschen?

    Und wer lehrte ihn Versöhnung mit der Zeit, und Höheres als alle Versöhnung ist?

    Höheres als alle Versöhnung muss der Wille wollen, welcher der Wille zur Macht ist –: doch wie geschieht ihm das? Wer lehrte ihn auch noch das Zurückwollen?«

    – Aber an dieser Stelle seiner Rede geschah es, dass Zarathustra plötzlich innehielt und ganz einem Solchen gleich sah, der auf das Äusserste erschrickt. Mit erschrecktem Auge blickte er auf seine Jünger; sein Auge durchbohrte wie mit Pfeilen ihre Gedanken und Hintergedanken. Aber nach einer kleinen Weile lachte er schon wieder und sagte begütigt:

    »Es ist schwer, mit Menschen zu leben, weil Schweigen so schwer ist. Sonderlich für einen Geschwätzigen.« –

    Also sprach Zarathustra. Der Bucklichte aber hatte dem Gespräche zugehört und sein Gesicht dabei bedeckt; als er aber Zarathustra lachen hörte, blickte er neugierig auf und sagte langsam:

    »Aber warum redet Zarathustra anders zu uns als zu seinen Jüngern?«

    Zarathustra antwortete: »Was ist da zum Verwundern! Mit Bucklichten darf man schon bucklicht reden!«

    »Gut, sagte der Bucklichte; und mit Schülern darf man schon aus der Schule schwätzen.

    Aber warum redet Zarathustra anders zu seinen Schülern – als zu sich selber?« –

                                         Von der Menschen-Klugheit

    Nicht die Höhe: der Abhang ist das Furchtbare!

    Der Abhang, wo der Blick hinunter stürzt und die Hand hinauf greift. Da schwindelt dem Herzen vor seinem doppelten Willen.

    Ach, Freunde, errathet ihr wohl auch meines Herzens doppelten Willen?

    Das, Das ist mein Abhang und meine Gefahr, dass mein Blick in die Höhe stürzt, und dass meine Hand sich halten und stützen möchte – an der Tiefe!

    An den Menschen klammert sich mein Wille, mit Ketten binde ich mich an den Menschen, weil es mich hinauf reisst zum Obermenschen: denn dahin will mein andrer Wille.

    Und dazu lebe ich blind unter den Menschen; gleich als ob ich sie nicht kennte: dass meine Hand ihren Glauben an Festes nicht ganz verliere.

    Ich kenne euch Menschen nicht: diese Finsterniss und Tröstung ist oft um mich gebreitet.

    Ich sitze am Thorwege für jeden Schelm und frage: wer will mich betrügen?

    Das ist meine erste Menschen-Klugheit, dass ich mich betrügen lasse, um nicht auf der Hut zu sein vor Betrügern.

    Ach, wenn ich auf der Hut wäre vor dem Menschen: wie könnte meinem Balle der Mensch ein Anker sein! Zu leicht risse es mich hinauf und hinweg!

    Diese Vorsehung ist über meinem Schicksal, dass ich ohne Vorsicht sein muss.

    Und wer unter Menschen nicht verschmachten will, muss lernen, aus allen Gläsern zu trinken; und wer unter Menschen rein bleiben will, muss verstehn, sich auch mit schmutzigem Wasser zu waschen.

    Und also sprach ich oft mir zum Troste: »Wohlan! Wohlauf! Altes Herz! Ein Unglück missrieth dir: geniesse diess als dein – Glück!«

    Diess aber ist meine andre Menschen-Klugheit: ich schone die Eitlen mehr als die Stolzen.

    Ist nicht verletzte Eitelkeit die Mutter aller Trauerspiele? Wo aber Stolz verletzt wird, da wächst wohl etwas Besseres noch, als Stolz ist.

    Damit das Leben gut anzuschaun sei, muss sein Spiel gut gespielt werden: dazu aber bedarf es guter Schauspieler.

    Gute Schauspieler fand ich alle Eitlen: sie spielen und wollen, dass ihnen gern zugeschaut werde, – all ihr Geist ist bei diesem Willen.

    Sie führen sich auf, sie erfinden sich; in ihrer Nähe liebe ich's, dem Leben zuzuschaun, – es heilt von der Schwermuth.

    Darum schone ich die Eitlen, weil sie mir Arzte sind meiner Schwermuth und mich am Menschen fest halten als an einem Schauspiele.

    Und dann: wer ermisst am Eitlen die ganze Tiefe seiner Bescheidenheit! Ich bin ihm gut und mitleidig ob seiner Bescheidenheit.

    Von euch will er seinen Glauben an sich lernen; er nährt sich an euren Blicken, er frisst das Lob aus euren Händen.

    Euren Lügen glaubt er noch, wenn ihr gut über ihn lügt: denn im Tiefsten seufzt sein Herz: was bin ich!«

    Und wenn das die rechte Tugend ist, die nicht um sich selber weiss: nun, der Eitle weiss nicht um seine Bescheidenheit! –

    Das ist aber meine dritte Menschen-Klugheit, dass ich mir den Anblick der Bösen nicht verleiden lasse durch eure Furchtsamkeit.

    Ich bin selig, die Wunder zu sehn, welche heisse Sonne ausbrütet: Tiger und Palmen und Klapperschlangen.

    Auch unter Menschen giebt es schöne Brut heisser Sonne und viel Wunderwürdiges an den Bösen.

    Zwar, wie eure Weisesten mir nicht gar so weise erschienen: so fand ich auch der Menschen Bosheit unter ihrem Rufe.

    Und oft fragte ich mit Kopfschütteln: Warum noch klappern, ihr Klapperschlangen?

    Wahrlich, es giebt auch für das Böse noch eine Zukunft! Und der heisseste Süden ist noch nicht entdeckt für den Menschen.

    Wie Manches heisst jetzt schon ärgste Bosheit, was doch nur zwölf Schuhe breit und drei Monate lang ist! Einst aber werden grössere Drachen zur Welt kommen.

    Denn dass dem Übermenschen sein Drache nicht fehle, der Über-Drache, der seiner würdig ist: dazu muss viel heisse Sonne noch auf feuchten Urwald glühen!

    Aus euren Wildkatzen müssen erst Tiger geworden sein und aus euren Giftkröten Krokodile: denn der gute Jäger soll eine gute Jagd haben!

    Und wahrlich, ihr Guten und Gerechten! An euch ist Viel zum Lachen und zumal eure Furcht vor dem, was bisher »Teufel« hiess!

    So fremd seid ihr dem Grossen mit eurer Seele, dass euch der Übermensch furchtbar sein würde in seiner Güte!

    Und ihr Weisen und Wissenden, ihr würdet vor dem Sonnenbrande der Weisheit flüchten, in dem der Übermensch mit Lust seine Nacktheit badet!

    Ihr höchsten Menschen, denen mein Auge begegnete! das ist mein Zweifel an euch und mein heimliches Lachen: ich rathe, ihr würdet meinen Übermenschen – Teufel heissen!

    Ach, ich ward dieser Höchsten und Besten müde: aus ihrer »Höhe« verlangte mich hinauf, hinaus, hinweg zu dem Übermenschen!

    Ein Grausen überfiel mich, als ich diese Besten nackend sah: da wuchsen mir die Flügel, fortzuschweben in ferne Zukünfte.

    In fernere Zukünfte, in südlichere Süden, als je ein Bildner träumte: dorthin, wo Götter sich aller Kleider schämen!

    Aber verkleidet will ich euch sehn, ihr Nächsten und Mitmenschen, und gut geputzt, und eitel, und würdig, als »die Guten und Gerechten,« –

    Und verkleidet will ich selber unter euch sitzen, – dass ich euch und mich verkenne: das ist nämlich meine letzte Menschen-Klugheit.

    Also sprach Zarathustra.

                                                   Die stillste Stunde

    Was geschah mir, meine Freunde? Ihr seht mich verstört, fortgetrieben, unwillig-folgsam, bereit zu gehen – ach, von euch fortzugehen!

    Ja, noch Ein Mal muss Zarathustra in seine Einsamkeit: aber unlustig geht diessmal der Bär zurück in seine Höhle!

    Was geschah mir? Wer gebeut diess? – Ach, meine zornige Herrin will es so, sie sprach zu mir: nannte ich je euch schon ihren Namen?

    Gestern gen Abend sprach zu mir meine stillste Stunde: das ist der Name meiner furchtbaren Herrin.

    Und so geschah's, – denn Alles muss ich euch sagen, dass euer Herz sich nicht verhärte gegen den plötzlich Scheidenden!

    Kennt ihr den Schrecken des Einschlafenden? –

    Bis in die Zehen hinein erschrickt er, darob, dass ihm der Boden weicht und der Traum beginnt.

    Dieses sage ich euch zum Gleichniss. Gestern, zur stillsten Stunde, wich mir der Boden: der Traum begann.

    Der Zeiger rückte, die Uhr meines Lebens holte Athem – nie hörte ich solche Stille um mich: also dass mein Herz erschrak.

    Dann sprach es ohne Stimme zu mir: »Du weisst es, Zarathustra?« –

    Und ich schrie vor Schrecken bei diesem Flüstern, und das Blut wich aus meinem Gesichte: aber ich schwieg.

    Da sprach es abermals ohne Stimme zu mir: »Du weisst es, Zarathustra, aber du redest es nicht!« –

    Und ich antwortete endlich gleich einem Trotzigen: »Ja, ich weiss es, aber ich will es nicht reden!«

    Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: »Du willst nicht, Zarathustra? Ist diess auch wahr? Verstecke dich nicht in deinen Trotz!« –

    Und ich weinte und zitterte wie ein Kind und sprach: »Ach, ich wollte schon, aber wie kann ich es! Erlass mir diess nur! Es ist über meine Kraft!«

    Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: »Was liegt an dir, Zarathustra! Sprich dein Wort und zerbrich!« –

    Und ich antwortete: »Ach, ist es mein Wort? Wer bin ich? Ich warte des Würdigeren; ich bin nicht werth, an ihm auch nur zu zerbrechen.«

    Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: »Was liegt an dir? Du bist mir noch nicht demüthig genug. Die Demuth hat das härteste Fell.« –

    Und ich antwortete: »Was trug nicht schon das Fell meiner Demuth! Am Fusse wohne ich meiner Höhe: wie hoch meine Gipfel sind? Niemand sagte es mir noch. Aber gut kenne ich meine Thäler.«

    Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: »Oh Zarathustra, wer Berge zu versetzen hat, der versetzt auch Thäler und Niederungen.« –

    Und ich antwortete: »Noch versetzte mein Wort keine Berge, und was ich redete, erreichte die Menschen nicht. Ichgieng wohl zu den Menschen, aber noch langte ich nicht bei ihnen an.«

    Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: »Was weisst du davon! Der Thau fällt auf das Gras, wenn die Nacht am verschwiegensten ist.« –

    Und ich antwortete: »sie verspotteten mich, als ich meinen eigenen Weg fand und gieng; und in Wahrheit zitterten damals meine Füsse.

    Und so sprachen sie zu mir: du verlerntest den Weg, nun verlernst du auch das Gehen!«

    Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: »Was liegt an ihrem Spotte! Du bist Einer, der das Gehorchen verlernt hat: nun sollst du befehlen!

    Weisst du nicht, wer Allen am nöthigsten thut? Der Grosses befiehlt.

    Grosses vollführen ist schwer: aber das Schwerere ist, Grosses befehlen.

    Das ist dein Unverzeihlichstes: du hast die Macht, und du willst nicht herrschen.« –

    Und ich antwortete: »Mir fehlt des Löwen Stimme zu allem Befehlen.«

    Da sprach es wieder wie ein Flüstern zu mir: »Die stillsten Worte sind es, welche den Sturm bringen. Gedanken, die mit Taubenfüssen kommen, lenken die Welt.

    Oh Zarathustra, du sollst gehen als ein Schatten dessen, was kommen muss: so wirst du befehlen und befehlend vorangehen.« –

    Und ich antwortete: »Ich schäme mich.«

    Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: »Du musst noch Kind werden und ohne Scham.

    Der Stolz der Jugend ist noch auf dir, spät bist du jung geworden: aber wer zum Kinde werden will, muss auch noch seine Jugend überwinden.« –

    Und ich besann mich lange und zitterte. Endlich aber sagte ich, was ich zuerst sagte: »Ich will nicht.«

    Da geschah ein Lachen um mich. Wehe, wie diess Lachen mir die Eingeweide zerriss und das Herz aufschlitzte!

    Und es sprach zum letzten Male zu mir: »Oh Zarathustra, deine Früchte sind reif, aber du bist nicht reif für deine Früchte!

    So musst du wieder in die Einsamkeit: denn du sollst noch mürbe werden.« –

    Und wieder lachte es und floh: dann wurde es stille um mich wie mit einer zwiefachen Stille. Ich aber lag am Boden, und der Schweiss floss mir von den Gliedern.

    – Nun hörtet ihr Alles, und warum ich in meine Einsamkeit zurück muss. Nichts verschwieg ich euch, meine Freunde.

    Aber auch diess hörtet ihr von mir, wer immer noch aller Menschen Verschwiegenster ist – und es sein will!

    Ach meine Freunde! Ich hätte euch noch Etwas zu sagen, ich hätte euch noch Etwas zu geben! Warum gebe ich es nicht? Bin ich denn geizig?« –

    Als Zarathustra aber diese Worte gesprochen hatte, überfiel ihn die Gewalt des Schmerzes und die Nähe des Abschieds von seinen Freunden, also dass er laut weinte; und Niemand wusste ihn zu trösten. Des Nachts aber gieng er allein fort und verliess seine Freunde.

                                               Dritter Theil

    »Ihr seht nach Oben, wenn ihr nach Erhebung verlangt. Und ich sehe hinab, weil ich erhoben bin.

    Wer von euch kann zugleich lachen und erhoben sein?

    Wer auf den höchsten Bergen steigt, der lacht über alle Trauer-Spiele und Trauer-Ernste.«

    Zarathustra, vom Lesen und Schreiben.

                                               Der Wanderer

    Um Mitternacht war es, da nahm Zarathustra seinen Weg über den Rücken der Insel, dass er mit dem frühen Morgen an das andre Gestade käme: denn dort wollte er zu Schiff steigen. Es gab nämlich allda eine gute Rhede, an der auch fremde Schiffe gern vor Anker giengen; die nahmen Manchen mit sich, der von den glückseligen Inseln über das Meer wollte. Als nun Zarathustra so den Berg hinanstieg, gedachte er unterwegs des vielen einsamen Wanderns von Jugend an, und wie viele Berge und Rücken und Gipfel er schon gestiegen sei.

    Ich bin ein Wanderer und ein Bergsteiger, sagte er zu seinem Herzen, ich liebe die Ebenen nicht und es scheint, ich kann nicht lange still sitzen.

    Und was mir nun auch noch als Schicksal und Erlebniss komme, – ein Wandern wird darin sein und ein Bergsteigen: man erlebt endlich nur noch sich selber.

    Die Zeit ist abgeflossen, wo mir noch Zufälle begegnen durften; und was könnte jetzt noch zu mir fallen, was nicht schon mein Eigen wäre!

    Es kehrt nur zurück, es kommt mir endlich heim – mein eigen Selbst, und was von ihm lange in der Fremde war und zerstreut unter alle Dinge und Zufälle.

    Und noch Eins weiss ich: ich stehe jetzt vor meinem letzten Gipfel und vor dem, was mir am längsten aufgespart war. Ach, meinen härtesten Weg muss ich hinan! Ach, ich begann meine einsamste Wanderung!

    Wer aber meiner Art ist, der entgeht einer solchen Stunde nicht: der Stunde, die zu ihm redet: »Jetzo erst gehst du deinen Weg der Grösse! Gipfel und Abgrund – das ist jetzt in Eins beschlossen!

    Du gehst deinen Weg der Grösse: nun ist deine letzte Zuflucht worden, was bisher deine letzte Gefahr hiess!

    Du gehst deinen Weg der Grösse: das muss nun dein bester Muth sein, dass es hinter dir keinen Weg mehr giebt!

    Du gehst deinen Weg der Grösse; hier soll dir Keiner nachschleichen! Dein Fuss selber löschte hinter dir den Weg aus, und über ihm steht geschrieben: Unmöglichkeit.

    Und wenn dir nunmehr alle Leitern fehlen, so musst du verstehen, noch auf deinen eigenen Kopf zu steigen: wie wolltest du anders aufwärts steigen?

    Auf deinen eigenen Kopf und hinweg über dein eigenes Herz! Jetzt muss das Mildeste an dir noch zum Härtesten werden.

    Wer sich stets viel geschont hat, der kränkelt zuletzt an seiner vielen Schonung. Gelobt sei, was hart macht! Ich lobe das Land nicht, wo Butter und Honig – fliesst!

    Von sich absehn lernen ist nöthig, um Viel zu sehn: – diese Härte thut jedem Berge-Steigenden Noth.

    Wer aber mit den Augen zudringlich ist als Erkennender, wie sollte der von allen Dingen mehr als ihre vorderen Gründe sehn!

    Du aber, oh Zarathustra, wolltest aller Dinge Grund schaun und Hintergrund: so musst du schon über dich selber steigen, – hinan, hinauf, bis du auch deine Sterne noch unter dir hast!

    Ja! Hinab auf mich selber sehn und noch auf meine Sterne: das erst hiesse mir mein Gipfel, das blieb mir noch zurück als mein letzter Gipfel! –

    Also sprach Zarathustra im Steigen zu sich, mit harten Sprüchlein sein Herz tröstend: denn er war wund am Herzen wie noch niemals zuvor. Und als er auf die Höhe des Bergrückens kam, siehe, da lag das andere Meer vor ihm ausgebreitet: und er stand still und schwieg lange. Die Nacht aber war kalt in dieser Höhe und klar und hellgestirnt.

    Ich erkenne mein Loos, sagte er endlich mit Trauer. Wohlan! Ich bin bereit. Eben begann meine letzte Einsamkeit.

    Ach, diese schwarze traurige See unter mir! Ach, diese schwangere nächtliche Verdrossenheit! Ach, Schicksal und See! Zu euch muss ich nun hinab steigen!

    Vor meinem höchsten Berge stehe ich und vor meiner längsten Wanderung: darum muss ich erst tiefer hinab als ich jemals stieg:

    – tiefer hinab in den Schmerz als ich jemals stieg, bis hinein in seine schwärzeste Fluth! So will es mein Schicksal: Wohlan! Ich bin bereit.

    Woher kommen die höchsten Berge? so fragte ich einst. Da lernte ich, dass sie aus dem Meere kommen.

    Diess Zeugniss ist in ihr Gestein geschrieben und in die Wände ihrer Gipfel. Aus dem Tiefsten muss das Höchste zu seiner Höhe kommen. –

    Also sprach Zarathustra auf der Spitze des Berges, wo es kalt war; als er aber in die Nähe des Meeres kam und zuletzt allein unter den Klippen stand, da war er unterwegs müde geworden und sehnsüchtiger als noch zuvor.

    Es schläft jetzt Alles noch, sprach er; auch das Meer schläft. Schlaftrunken und fremd blickt sein Auge nach mir.

    Aber es athmet warm, das fühle ich. Und ich fühle auch, dass es träumt. Es windet sieh träumend auf harten Kissen.

    Horch! Horch! Wie es stöhnt von bösen Erinnerungen! Oder bösen Erwartungen?

    Ach, ich bin traurig mit dir, du dunkles Ungeheuer, und mir selber noch gram um deinetwillen.

    Ach, dass meine Hand nicht Stärke genug hat! Gerne, wahrlich, möchte ich dich von bösen Träumen erlösen! –

    Und indem Zarathustra so sprach, lachte er mit Schwermuth und Bitterkeit über sich selber. »Wie! Zarathustra! sagte er, willst du noch dem Meere Trost singen?

    Ach, du liebreicher Narr Zarathustra, du Vertrauens-Überseliger! Aber so warst du immer: immer kamst du vertraulich zu allem Furchtbaren.

    Jedes Ungethüm wolltest du noch streicheln. Ein Hauch warmen Athems, ein Wenig weiches Gezottel an der Tatze –: und gleich warst du bereit, es zu lieben und zu locken.

    Die Liebe ist die Gefahr des Einsamsten, die Liebe zu Allem, wenn es nur lebt! Zum Lachen ist wahrlich meine Narrheit und meine Bescheidenheit in der Liebe!« –

    Also sprach Zarathustra und lachte dabei zum andern Male: da aber gedachte er seiner verlassenen Freunde –, und wie als ob er sich mit seinen Gedanken an ihnen vergangen habe, zürnte er sich ob seiner Gedanken. Und alsbald geschah es, dass der Lachende weinte: – vor Zorn und Sehnsucht weinte Zarathustra bitterlich.

                                           Vom Gesicht und Räthsel
                                                             1

    Als es unter den Schiffsleuten ruchbar wurde, dass Zarathustra auf dem Schiffe sei, – denn es war ein Mann zugleich mit ihm an Bord gegangen, der von den glückseligen Inseln kam – da entstand eine grosse Neugierde und Erwartung. Aber Zarathustra schwieg zwei Tage und war kalt und taub vor Traurigkeit, also, dass er weder auf Blicke noch auf Fragen antwortete. Am Abende aber des zweiten Tages that er seine Ohren wieder auf, ob er gleich noch schwieg: denn es gab viel Seltsames und Gefährliches auf diesem Schiffe anzuhören, welches weither kam und noch weiterhin wollte. Zarathustra aber war ein Freund aller Solchen, die weite Reisen thun und nicht ohne Gefahr leben mögen. Und siehe! zuletzt wurde ihm im Zuhören die eigne Zunge gelöst, und das Eis seines Herzens brach: – da begann er also zu reden:

    Euch, den kühnen Suchern, Versuchern, und wer je sich mit listigen Segeln auf furchtbare Meere einschiffte, –

    euch, den Räthsel-Trunkenen, den Zwielicht-Frohen, deren Seele mit Flöten zu jedem Irr-Schlunde gelockt wird:

    – denn nicht wollt ihr mit feiger Hand einem Faden nachtasten; und, wo ihr errathen könnt, da hasst ihr es, zu erschliessen –

    euch allein erzähle ich das Räthsel, das ich sah, – das Gesicht des Einsamsten. –

    Düster gieng ich jüngst durch leichenfarbne Dämmerung, – düster und hart, mit gepressten Lippen. Nicht nur Eine Sonne war mir untergegangen.

    Ein Pfad, der trotzig durch Geröll stieg, ein boshafter, einsamer, dem nicht Kraut, nicht Strauch mehr zusprach: ein Bergpfad knirschte unter dem Trotz meines Fusses.

    Stumm über höhnischem Geklirr von Kieseln schreitend, den Stein zertretend, der ihn gleiten liess: also zwang mein Fuss sich aufwärts.

    Aufwärts: – dem Geiste zum Trotz, der ihn abwärts zog, abgrundwärts zog, dem Geiste der Schwere, meinem Teufel und Erzfeinde.

    Aufwärts: – obwohl er auf mir sass, halb Zwerg, halb Maulwurf; lahm; lähmend; Blei durch mein Ohr, Bleitropfen-Gedanken in mein Hirn träufelnd.

    »Oh Zarathustra, raunte er höhnisch Silb' um Silbe, du Stein der Weisheit! Du warfst dich hoch, aber jeder geworfene Stein muss – fallen!

    Oh Zarathustra, du Stein der Weisheit, du Schleuderstein, du Stern-Zertrümmerer! Dich selber warfst du so hoch, – aber jeder geworfene Stein – muss fallen!

    Verurtheilt zu dir selber und zur eignen Steinigung: oh Zarathustra, weit warfst du ja den Stein, – aber auf dich wird er zurückfallen!«

    Drauf schwieg der Zwerg; und das währte lange. Sein Schweigen aber drückte mich; und solchermaassen zu Zwein ist man wahrlich einsamer als zu Einem!

    Ich stieg, ich stieg, ich träumte, ich dachte, – aber Alles drückte mich. Einem Kranken glich ich, den seine schlimme Marter müde macht, und den wieder ein schlimmerer Traum aus dem Einschlafen weckt. –

    Aber es giebt Etwas in mir, das ich Muth heisse: das schlug bisher mir jeden Unmuth todt. Dieser Muth hiess mich endlich stille stehn und sprechen: »Zwerg! Du! Oder ich!« –

    Muth nämlich ist der beste Todtschläger, – Muth, welcher angreift : denn in jedem Angriffe ist klingendes Spiel.

    Der Mensch aber ist das muthigste Thier: damit überwand er jedes Thier. Mit klingendem Spiele überwand er noch jeden Schmerz; Menschen-Schmerz aber ist der tiefste Schmerz.

    Der Muth schlägt auch den Schwindel todt an Abgründen: und wo stünde der Mensch nicht an Abgründen! Ist Sehen nicht selber – Abgründe sehen?

    Muth ist der beste Todtschläger: der Muth schlägt auch das Mitleiden todt. Mitleiden aber ist der tiefste Abgrund: so tief der Mensch in das Leben sieht, so tief sieht er auch in das Leiden.

    Muth aber ist der beste Todtschläger, Muth, der angreift: der schlägt noch den Tod todt, denn er spricht: »War das das Leben? Wohlan! Noch Ein Mal!«

    In solchem Spruche aber ist viel klingendes Spiel. Wer Ohren hat, der höre. –

                                                             2

    »Halt! Zwerg! sprach ich. Ich! Oder du! Ich aber bin der Stärkere von uns Beiden –: du kennst meinen abgründlichen Gedanken nicht! Den – könntest du nicht tragen!« –

    Da geschah, was mich leichter machte: denn der Zwerg sprang mir von der Schulter, der Neugierige! Und er hockte sich auf einen Stein vor mich hin. Es war aber gerade da ein Thorweg, wo wir hielten.

    »Siehe diesen Thorweg! Zwerg! sprach ich weiter: der hat zwei Gesichter. Zwei Wege kommen hier zusammen: die gieng noch Niemand zu Ende.

    Diese lange Gasse zurück: die währt eine Ewigkeit. Und jene lange Gasse hinaus – das ist eine andre Ewigkeit.

    Sie widersprechen sich, diese Wege; sie stossen sich gerade vor den Kopf: – und hier, an diesem Thorwege, ist es, wo sie zusammen kommen. Der Name des Thorwegs steht oben geschrieben: »Augenblick«.

    Aber wer Einen von ihnen weiter gienge – und immer weiter und immer ferner: glaubst du, Zwerg, dass diese Wege sich ewig widersprechen?« –

    »Alles Gerade lügt, murmelte verächtlich der Zwerg. Alle Wahrheit ist krumm, die Zeit selber ist ein Kreis.«

    »Du Geist der Schwere! sprach ich zürnend, mache dir es nicht zu leicht! Oder ich lasse dich hocken, wo du hockst, Lahmfuss, – und ich trug dich hoch!

    Siehe, sprach ich weiter, diesen Augenblick! Von diesem Thorwege Augenblick läuft eine lange ewige Gasse rückwärts hinter uns liegt eine Ewigkeit.

    Muss nicht, was laufen kann von allen Dingen, schon einmal diese Gasse gelaufen sein? Muss nicht, was geschehn kann von allen Dingen, schon einmal geschehn, gethan, vorübergelaufen sein?

    Und wenn Alles schon dagewesen ist: was hältst du Zwerg von diesem Augenblick? Muss auch dieser Thorweg nicht schon – dagewesen sein?

    Und sind nicht solchermaassen fest alle Dinge verknotet, dass dieser Augenblick alle kommenden Dinge nach sich zieht? Also – – sich selber noch?

    Denn, was laufen kann von allen Dingen: auch in dieser langen Gasse hinaus – muss es einmal noch laufen! –

    Und diese langsame Spinne, die im Mondscheine kriecht, und dieser Mondschein selber, und ich und du im Thorwege, zusammen flüsternd, von ewigen Dingen flüsternd – müssen wir nicht Alle schon dagewesen sein?

    – und wiederkommen und in jener anderen Gasse laufen, hinaus, vor uns, in dieser langen schaurigen Gasse – müssen wir nicht ewig wiederkommen? –«

    Also redete ich, und immer leiser: denn ich fürchtete mich vor meinen eignen Gedanken und Hintergedanken. Da, plötzlich, hörte ich einen Hund nahe heulen.

    Hörte ich jemals einen Hund so heulen? Mein Gedanke lief zurück. Ja! Als ich Kind war, in fernster Kindheit:

    – da hörte ich einen Hund so heulen. Und sah ihn auch, gesträubt, den Kopf nach Oben, zitternd, in stillster Mitternacht, wo auch Hunde an Gespenster glauben:

    – also dass es mich erbarmte. Eben nämlich gieng der volle Mond, todtschweigsam, über das Haus, eben stand er still, eine runde Gluth, – still auf flachem Dache, gleich als auf fremdem Eigenthume: –

    darob entsetzte sich damals der Hund: denn Hunde glauben an Diebe und Gespenster. Und als ich wieder so heulen hörte, da erbarmte es mich abermals.

    Wohin war jetzt Zwerg? und Thorweg? Und Spinne? Und alles Flüstern? Träumte ich denn? Wachte ich auf? Zwischen wilden Klippen stand ich mit Einem Male, allein, öde, im ödesten Mondscheine.

    Aber da lag ein Mensch! Und da! Der Hund, springend, gesträubt, winselnd, – jetzt sah er mich kommen – da heulte er wieder, da schrie er: – hörte ich je einen Hund so Hülfe schrein?

    Und, wahrlich, was ich sah, desgleichen sah ich nie. Einen jungen Hirten sah ich, sich windend, würgend, zuckend, verzerrten Antlitzes, dem eine schwarze schwere Schlange aus dem Munde hieng.

    Sah ich je so viel Ekel und bleiches Grauen auf Einem Antlitze? Er hatte wohl geschlafen? Da kroch ihm die Schlange in den Schlund – da biss sie sich fest.

    Meine Hand riss die Schlange und riss: – umsonst! sie riss die Schlange nicht aus dem Schlunde. Da schrie es aus mir: »Beiss zu! Beiss zu!

    Den Kopf ab! Beiss zu!« – so schrie es aus mir, mein Grauen, mein Hass, mein Ekel, mein Erbarmen, all mein Gutes und Schlimmes schrie mit Einem Schrei aus mir. –

    Ihr Kühnen um mich! Ihr Sucher, Versucher, und wer von euch mit listigen Segeln sich in unerforschte Meere einschiffte! Ihr Räthsel-Frohen!

    So rathet mir doch das Räthsel, das ich damals schaute, so deutet mir doch das Gesicht des Einsamsten!

    Denn ein Gesicht war's und ein Vorhersehn: – was sah ich damals im Gleichnisse? Und wer ist, der einst noch kommen muss?

    Wer ist der Hirt, dem also die Schlange in den Schlund kroch? Wer ist der Mensch, dem also alles Schwerste, Schwärzeste in den Schlund kriechen wird?

    – Der Hirt aber biss, wie mein Schrei ihm rieth; er biss mit gutem Bisse! Weit weg spie er den Kopf der Schlange –: und sprang empor. –

    Nicht mehr Hirt, nicht mehr Mensch, – ein Verwandelter, ein Umleuchteter, welcher lachte ! Niemals noch auf Erden lachte je ein Mensch, wie er lachte!

    Oh meine Brüder, ich hörte ein Lachen, das keines Menschen Lachen war, – – und nun frisst ein Durst an mir, eine Sehnsucht, die nimmer stille wird.

    Meine Sehnsucht nach diesem Lachen frisst an mir: oh wie ertrage ich noch zu leben! Und wie ertrüge ich's, jetzt zu sterben! –

    Also sprach Zarathustra.

                                  Von der Seligkeit wider Willen

    Mit solchen Räthseln und Bitternissen im Herzen fuhr Zarathustra über das Meer. Als er aber vier Tagereisen fern war von den glückseligen Inseln und von seinen Freunden, da hatte er allen seinen Schmerz überwunden –: siegreich und mit festen Füssen stand er wieder auf seinem Schicksal. Und damals redete Zarathustra also zu seinem frohlockenden Gewissen:

    Allein bin ich wieder und will es sein, allein mit reinem Himmel und freiem Meere; und wieder ist Nachmittag um mich.

    Des Nachmittags fand ich zum ersten Male einst meine Freunde, des Nachmittags auch zum anderen Male: – zur Stunde, da alles Licht stiller wird.

    Denn was von Glück noch unterwegs ist zwischen Himmel und Erde, das sucht sich nun zur Herberge noch eine lichte Seele: vor Glück ist alles Licht jetzt stiller worden.

    Oh Nachmittag meines Lebens! Einst stieg auch mein Glück zu Thale, dass es sich eine Herberge suche: da fand es diese offnen gastfreundlichen Seelen.

    Oh Nachmittag meines Lebens! Was gab ich nicht hin, dass ich Eins hätte: diese lebendige Pflanzung meiner Gedanken und diess Morgenlicht meiner höchsten Hoffnung!

    Gefährten suchte einst der Schaffende und Kinder seiner Hoffnung: und siehe, es fand sich, dass er sie nicht finden könne, es sei denn, er schaffe sie selber erst.

    Also bin ich mitten in meinem Werke, zu meinen Kindern gehend und von ihnen kehrend: um seiner Kinder willen muss Zarathustra sich selbst vollenden.

    Denn von Grund aus liebt man nur sein Kind und Werk; und wo grosse Liebe zu sich selber ist, da ist sie der Schwangerschaft Wahrzeichen: so fand ich's.

    Noch grünen mir meine Kinder in ihrem ersten Frühlinge, nahe bei einander stehend und gemeinsam von Winden geschüttelt, die Bäume meines Gartens und besten Erdreichs.

    »Und wahrlich! Wo solche Bäume bei einander stehn, da sind glückselige Inseln!

    Aber einstmals will ich sie ausheben und einen jeden für sich allein stellen: dass er Einsamkeit lerne und Trotz und Vorsicht.

    Knorrig und gekrümmt und mit biegsamer Härte soll er mir dann am Meere dastehn, ein lebendiger Leuchtthurm unbesiegbaren Lebens.

    Dort, wo die Stürme hinab in's Meer stürzen, und des Gebirgs Rüssel Wasser trinkt, da soll ein jeder einmal seine Tag- und Nachtwachen haben, zu seiner Prüfung und Erkenntniss.

    Erkannt und geprüft soll er werden, darauf, ob er meiner Art und Abkunft ist, – ob er eines langen Willens Herr sei, schweigsam, auch wenn er redet, und nachgebend also, dass er im Geben nimmt: –

    – dass er einst mein Gefährte werde und ein Mitschaffender und Mitfeiernder Zarathustra's –: ein Solcher, der mir meinen Willen auf meine Tafeln schreibt: zu aller Dinge vollerer Vollendung.

    Und um seinetwillen und seines Gleichen muss ich selber mich vollenden: darum weiche ich jetzt meinem Glücke aus und biete mich allem Unglücke an – zu meiner letzten Prüfung und Erkenntniss.

Und wahrlich, Zeit war's, dass ich gieng; und des Wanderers Schatten und die längste Weile und die stillste Stunde – alle redeten mir zu: »es ist höchste Zeit!«

    Der Wind blies mir durch's Schlüsselloch und sagte »Komm!« Die Thür sprang mir listig auf und sagte »Geh!«

    Aber ich lag angekettet an die Liebe zu meinen Kindern: das Begehren legte mir diese Schlinge, das Begehren nach Liebe, dass ich meiner Kinder Beute würde und mich an sie verlöre.

    Begehren – das heisst mir schon: mich verloren haben. Ich habe euch, meine Kinder! In diesem Haben soll Alles Sicherheit und Nichts Begehren sein.

    Aber brütend lag die Sonne meiner Liebe auf mir, im eignen Safte kochte Zarathustra, – da flogen Schatten und Zweifel über mich weg.

    Nach Frost und Winter gelüstete mich schon: »oh dass Frost und Winter mich wieder knacken und knirschen machten!« seufzte ich: – da stiegen eisige Nebel aus mir auf.

    Meine Vergangenheit brach ihm Gräber, manch lebendig begrabner Schmerz wachte auf –: ausgeschlafen hatte er sich nur, versteckt in Leichen-Gewänder.

    Also rief mir Alles in Zeichen zu: »es ist Zeit!« – Aber ich – hörte nicht: bis endlich mein Abgrund sich rührte und mein Gedanke mich biss.

    Ach, abgründlicher Gedanke, der du mein Gedanke bist! Wann finde ich die Stärke, dich graben zu hören und nicht mehr zu zittern?

    Bis zur Kehle hinauf klopft mir das Herz, wenn ich dich graben höre! Dein Schweigen noch will mich würgen, du abgründlich Schweigender!

    Noch wagte ich niemals, dich herauf zu rufen: genug schon, dass ich dich mit mir – trug! Noch war ich nicht stark genug zum letzten Löwen-Übermuthe und –Muthwillen.

    Genug des Furchtbaren war mir immer schon deine Schwere: aber einst soll ich noch die Stärke finden und die Löwen-Stimme, die dich herauf ruft!

    Wenn ich mich dessen erst überwunden habe, dann will ich mich auch des Grösseren noch überwinden; und ein Sieg soll meiner Vollendung Siegel sein! –

    Inzwischen treibe ich noch auf ungewissen Meeren; der Zufall schmeichelt mir, der glattzüngige; vorwärts und rückwärts schaue ich –, noch schaue ich kein Ende.

    Noch kam mir die Stunde meines letzten Kampfes nicht, – oder kommt sie wohl mir eben? Wahrlich, mit tückischer Schönheit schaut mich rings Meer und Leben an!

    Oh Nachmittag meines Lebens! Oh Glück vor Abend! Oh Hafen auf hoher See! Oh Friede im Ungewissen! Wie misstraue ich euch Allen!

    Wahrlich, misstrauisch bin ich gegen eure tückische Schönheit! Dem Liebenden gleiche ich, der allzusammtenem Lächeln misstraut.

    Wie er die Geliebteste vor sich her stösst, zärtlich noch in seiner Härte, der Eifersüchtige –, also stosse ich diese selige Stunde vor mir her.

    Hinweg mit dir, du selige Stunde! Mit dir kam mir eine Seligkeit wider Willen! Willig zu meinem tiefsten Schmerze stehe ich hier: – zur Unzeit kamst du!

    Hinweg mit dir, du selige Stunde! Lieber nimm Herberge dort – bei meinen Kindern! Eile! und segne sie vor Abend noch mit meinem Glücke!

    Da naht schon der Abend: die Sonne sinkt. Dahin – mein Glück! –

    Also sprach Zarathustra. Und er wartete auf sein Unglück die ganze Nacht: aber er wartete umsonst. Die Nacht blieb hell und still, und das Glück selber kam ihm immer näher und näher. Gegen Morgen aber lachte Zarathustra zu seinem Herzen und sagte spöttisch: »das Glück läuft mir nach. Das kommt davon, dass ich nicht den Weibern nachlaufe. Das Glück aber ist ein Weib.«

                                       Vor Sonnen-Aufgang

    Oh Himmel über mir, du Reiner! Tiefer! Du Licht-Abgrund! Dich schauend schaudere ich vor göttlichen Begierden.

    In deine Höhe mich zu werfen – das ist meine Tiefe! In deine Reinheit mich zu bergen – das ist meine Unschuld!

    Den Gott verhüllt seine Schönheit: so verbirgst du deine Sterne. Du redest nicht: so kündest du mir deine Weisheit.

    Stumm über brausendem Meere bist du heut mir aufgegangen, deine Liebe und deine Scham redet Offenbarung zu meiner brausenden Seele.

    Dass du schön zu mir kamst, verhüllt in deine Schönheit, dass du stumm zu mir sprichst, offenbar in deiner Weisheit:

    Oh wie erriethe ich nicht alles Schamhafte deiner Seele! Vor der Sonne kamst du zu mir, dem Einsamsten.

    Wir sind Freunde von Anbeginn: uns ist Gram und Grauen und Grund gemeinsam; noch die Sonne ist uns gemeinsam.

    Wir reden nicht zu einander, weil wir zu Vieles wissen –: wir schweigen uns an, wir lächeln uns unser Wissen zu.

    Bist du nicht das Licht zu meinem Feuer? Hast du nicht die Schwester-Seele zu meiner Einsicht?

    Zusammen lernten wir Alles; zusammen lernten wir über uns zu uns selber aufsteigen und wolkenlos lächeln: –

    – wolkenlos hinab lächeln aus lichten Augen und aus meilenweiter Ferne, wenn unter uns Zwang und Zweck und Schuld wie Regen dampfen.

    Und wanderte ich allein: wes hungerte meine Seele in Nächten und Irr-Pfaden? Und stieg ich Berge, wen suchte ich je, wenn nicht dich, auf Bergen?

    Und all mein Wandern und Bergsteigen: eine Noth war's nur und ein Behelf des Unbeholfenen: – fliegen allein will mein ganzer Wille, in dich hinein fliegen!

    Und wen hasste ich mehr, als ziehende Wolken und Alles, was dich befleckt? Und meinen eignen Hass hasste ich noch, weil er dich befleckte!

    Den ziehenden Wolken bin ich gram, diesen schleichenden Raub-Katzen: sie nehmen dir und mir, was uns gemein ist, – das ungeheure unbegrenzte Ja- und Amen-sagen.

    Diesen Mittlern und Mischern sind wir gram, den ziehenden Wolken: diesen Halb- und Halben, welche weder segnen lernten, noch von Grund aus fluchen.

    Lieber will ich noch unter verschlossnem Himmel in der Tonne sitzen, lieber ohne Himmel im Abgrund sitzen, als dich, Licht-Himmel, mit Zieh-Wolken befleckt sehn!

    Und oft gelüstete mich, sie mit zackichten Blitz-Golddrähten festzuheften, dass ich, gleich dem Donner, auf ihrem Kessel-Bauche die Pauke schlüge: –

    – ein zorniger Paukenschläger, weil sie mir dein Ja! und Amen! rauben, du Himmel über mir, du Reiner! Lichter! Du Licht-Abgrund! – weil sie dir mein Ja! und Amen! rauben.

    Denn lieber noch will ich Lärm und Donner und Wetter-Flüche, als diese bedächtige zweifelnde Katzen-Ruhe; und auch unter Menschen hasse ich am besten alle Leisetreter und Halb- und Halben und zweifelnde, zögernde Zieh-Wolken.

    Und »wer nicht segnen kann, der soll fluchen lernen!« – diese helle Lehre fiel mir aus hellem Himmel, dieser Stern steht auch noch in schwarzen Nächten an meinem Himmel.

    Ich aber bin ein Segnender und ein Ja-sager, wenn du nur um mich bist, du Reiner! Lichter! Du Licht-Abgrund! – in alle Abgründe trage ich da noch mein segnendes Ja-sagen.

    Zum Segnenden bin ich worden und zum Ja-sagenden: und dazu rang ich lange und war ein Ringer, dass ich einst die Hände frei bekäme zum Segnen.

    Das aber ist mein Segnen: über jedwedem Ding als sein eigener Himmel stehn, als sein rundes Dach, seine azurne Glocke und ewige Sicherheit: und selig ist, wer also segnet!

    Denn alle Dinge sind getauft am Borne der Ewigkeit und jenseits von Gut und Böse; Gut und Böse selber aber sind nur Zwischenschatten und feuchte Trübsale und Zieh-Wolken.

    Wahrlich, ein Segnen ist es und kein Lästern, wenn ich lehre: »über allen Dingen steht der Himmel Zufall, der Himmel Unschuld, der Himmel Ohngefähr, der Himmel Übermuth.«

    »Von Ohngefähr« – das ist der älteste Adel der Welt, den gab ich allen Dingen zurück, ich erlöste sie von der Knechtschaft unter dem Zwecke.

    Diese Freiheit und Himmels-Heiterkeit stellte ich gleich azurner Glocke über alle Dinge, als ich lehrte, dass über ihnen und durch sie kein »ewiger Wille« – will.

    Diesen Übermuth und diese Narrheit stellte ich an die Stelle jenes Willens, als ich lehrte: »bei Allem ist Eins unmöglich – Vernünftigkeit!«

    Ein Wenig Vernunft zwar, ein Same der Weisheit zerstreut von Stern zu Stern, – dieser Sauerteig ist allen Dingen eingemischt: um der Narrheit willen ist Weisheit allen Dingen eingemischt!

    Ein Wenig Weisheit ist schon möglich; aber diese selige Sicherheit fand ich an allen Dingen: dass sie lieber noch auf den Füssen des Zufalls – tanzen.

    Oh Himmel über mir, du Reiner! Hoher! Das ist mir nun deine Reinheit, dass es keine ewige Vernunft-Spinne und –Spinnennetze giebt: –

    – dass du mir ein Tanzboden bist für göttliche Zufälle, dass du mir ein Göttertisch bist für göttliche Würfel und Würfelspieler! –

    Doch du erröthest? Sprach ich Unaussprechbares? Lästerte ich, indem ich dich segnen wollte?

    Oder ist es die Scham zu Zweien, welche dich erröthen machte? – Heissest du mich gehn und schweigen, weil nun – der Tag kommt?

    Die Welt ist tief –: und tiefer als je der Tag gedacht hat. Nicht Alles darf vor dem Tage Worte haben. Aber der Tag kommt: so scheiden wir nun!

    Oh Himmel über mir, du Schamhafter! Glühender! Oh du mein Glück vor Sonnen-Aufgang! Der Tag kommt: so scheiden wir nun! –

    Also sprach Zarathustra.

                                    Von der verkleinernden Tugend

                                                             1

    Als Zarathustra wieder auf dem festen Lande war, gieng er nicht stracks auf sein Gebirge und seine Höhle los, sondern that viele Wege und Fragen und erkundete diess und das, also, dass er von sich selber im Scherze sagte: »siehe einen Fluss, der in vielen Windungen zurück zur Quelle fliesst!« Denn er wollte in Erfahrung bringen, was sich inzwischen mit dem Menschen zugetragen habe: ob er grösser oder kleiner geworden sei. Und ein Mal sah er eine Reihe neuer Häuser; da wunderte er sich und sagte:

    Was bedeuten diese Häuser? Wahrlich, keine grosse Seele stellte sie hin, sich zum Gleichnisse!

    Nahm wohl ein blödes Kind sie aus seiner Spielschachtel? Dass doch ein anderes Kind sie wieder in seine Schachtel thäte!

    Und diese Stuben und Kammern: können Männer da aus- und eingehen? Gemacht dünken sie mich für Seiden-Puppen; oder für Naschkatzen, die auch wohl an sich naschen lassen.

    Und Zarathustra blieb stehn und dachte nach. Endlich sagte er betrübt: »Es ist Alles kleiner geworden!«

    Überall sehe ich niedrigere Thore: wer meiner Art ist, geht da wohl noch hindurch, aber – er muss sich bücken!

    Oh wann komme ich wieder in meine Heimat, wo ich mich nicht mehr bücken muss – nicht mehr bücken muss vor den Kleinen!« – Und Zarathustra seufzte und blickte in die Ferne. –

    Desselbigen Tages aber redete er seine Rede über die verkleinernde Tugend.

                                                         2

    Ich gehe durch diess Volk und halte meine Augen offen: sie vergeben mir es nicht, dass ich auf ihre Tugenden nicht neidisch bin.

    Sie beissen nach mir, weil ich zu ihnen sage: für kleine Leute sind kleine Tugenden nöthig – und weil es mir hart eingeht, dass kleine Leute nöthig sind!

    Noch gleiche ich dem Hahn hier auf fremdem Gehöfte, nach dem auch die Hennen beissen; doch darob bin ich diesen Hennen nicht ungut.

    Ich bin höflich gegen sie wie gegen alles kleine Aergerniss; gegen das Kleine stachlicht zu sein dünkt mich eine Weisheit für Igel.

    Sie reden Alle von mir, wenn sie Abends um's Feuer sitzen, – sie reden von mir, aber Niemand denkt – an mich!

    Diess ist die neue Stille, die ich lernte: ihr Lärm um mich breitet einen Mantel über meine Gedanken.

    Sie lärmen unter einander: »was will uns diese düstere Wolke? sehen wir zu, dass sie uns nicht eine Seuche bringe!«

    Und jüngst riss ein Weib sein Kind an sich, das zu mir wollte: »nehmt die Kinder weg! schrie es; solche Augen versengen Kinder-Seelen.«

    Sie husten, wenn ich rede: sie meinen, Husten sei ein Einwand gegen starke Winde, – sie errathen Nichts vom Brausen meines Glückes!

    »Wir haben noch keine Zeit für Zarathustra« – so wenden sie ein; aber was liegt an einer Zeit, die für Zarathustra »keine Zeit hat«?

    Und wenn sie gar mich rühmen: wie könnte ich wohl auf ihrem Ruhme einschlafen? Ein Stachel-Gürtel ist mir ihr Lob: es kratzt mich noch, wenn ich es von mir thue.

    Und auch das lernte ich unter ihnen: der Lobende stellt sich, als gäbe er zurück, in Wahrheit aber will er mehr beschenkt sein!

    Fragt meinen Fuss, ob ihm ihre Lob- und Lock-Weise gefällt! Wahrlich, nach solchem Takt und Tiktak mag er weder tanzen, noch stille stehn.

    Zur kleinen Tugend möchten sie mich locken und loben; zum Tiktak des kleinen Glücks möchten sie meinen Fuss überreden.

    Ich gehe durch diess Volk und halte die Augen offen: sie sind kleiner geworden und werden immer kleiner: – das aber macht ihre Lehre von Glück und Tugend.

    Sie sind nämlich auch in der Tugend bescheiden – denn sie wollen Behagen. Mit Behagen aber verträgt sich nur die bescheidene Tugend.

    Wohl lernen auch sie auf ihre Art Schreiten und Vorwärts-Schreiten: das heisse ich ihr Humpeln –. Damit werden sie jedem zum Anstosse, der Eile hat.

    Und Mancher von ihnen geht vorwärts und blickt dabei zurück, mit versteiftem Nacken: dem renne ich gern wider den Leib.

    Fuss und Augen sollen nicht lügen, noch sich einander Lügen strafen. Aber es ist viel Lügnerei bei den kleinen Leuten.

    Einige von ihnen wollen, aber die Meisten werden nur gewollt. Einige von ihnen sind ächt, aber die Meisten sind schlechte Schauspieler.

    Es giebt Schauspieler wider Wissen unter ihnen und Schauspieler wider Willen –, die Ächten sind immer selten, sonderlich die ächten Schauspieler.

    Des Mannes ist hier wenig: darum vermännlichen sich ihre Weiber. Denn nur wer Mannes genug ist, wird im Weibe das Weib – erlösen.

    Und diese Heuchelei fand ich unter ihnen am schlimmsten: dass auch Die, welche befehlen, die Tugenden Derer heucheln, welche dienen.

    »Ich diene, du dienst, wir dienen« – so betet hier auch die Heuchelei der Herrschenden, – und wehe, wenn der erste Herr nur der erste Diener ist!

    Ach, auch in ihre Heucheleien verflog sich wohl meines Auges Neugier; und gut errieth ich all ihr Fliegen-Glück und ihr Summen um besonnte Fensterscheiben.

    Soviel Güte, soviel Schwäche sehe ich. Soviel Gerechtigkeit und Mitleiden, soviel Schwäche.

    Rund, rechtlich und gütig sind sie mit einander, wie Sandkörnchen rund, rechtlich und gütig mit Sandkörnchen sind.

    Bescheiden ein kleines Glück umarmen – das heissen sie »Ergebung«! und dabei schielen sie bescheiden schon nach einem neuen kleinen Glücke aus.

    Sie wollen im Grunde einfältiglich Eins am meisten: dass ihnen Niemand wehe thue. So kommen sie jedermann zuvor und thun ihm wohl.

    Diess aber ist Feigheit : ob es schon »Tugend« heisst. –

    Und wenn sie einmal rauh reden, diese kleinen Leute: ich höre darin nur ihre Heiserkeit, – jeder Windzug nämlich macht sie heiser.

    Klug sind sie, ihre Tugenden haben kluge Finger. Aber ihnen fehlen die Fäuste, ihre Finger wissen nicht, sich hinter Fäuste zu verkriechen.

    Tugend ist ihnen das, was bescheiden und zahm macht: damit machten sie den Wolf zum Hunde und den Menschen selber zu des Menschen bestem Hausthiere.

    »Wir setzten unsern Stuhl in die Mitte – das sagt mir ihr Schmunzeln – und ebenso weit weg von sterbenden Fechtern wie von vergnügten Säuen.«

    Diess aber ist – Mittelmässigkeit: ob es schon Mässigkeit heisst. –

                                                         3

    Ich gehe durch diess Volk und lasse manches Wort fallen: aber sie wissen weder zu nehmen noch zu behalten.

    Sie wundern sich, dass ich nicht kam, auf Lüste und Laster zu lästern; und wahrlich, ich kam auch nicht, dass ich vor Taschendieben warnte!

    Sie wundern sich, dass ich nicht bereit bin, ihre Klugheit noch zu witzigen und zu spitzigen: als ob sie noch nicht genug der Klüglinge hätten, deren Stimme mir gleich Schieferstiften kritzelt!

    Und wenn ich rufe: »Flucht allen feigen Teufeln in euch, die gerne winseln und Hände falten und anbeten möchten«: so rufen sie: »Zarathustra ist gottlos«.

    Und sonderlich rufen es ihre Lehrer der Ergebung –; aber gerade ihnen liebe ich's, in das Ohr zu schrein: Ja! Ich bin Zarathustra, der Gottlose!

    Diese Lehrer der Ergebung! Überall hin, wo es klein und krank und grindig ist, kriechen sie, gleich Läusen; und nur mein Ekel hindert mich, sie zu knacken.

    Wohlan! Diess ist meine Predigt für ihre Ohren: ich bin Zarathustra, der Gottlose, der da spricht »wer ist gottloser denn ich, dass ich mich seiner Unterweisung freue?«

    Ich bin Zarathustra, der Gottlose: wo finde ich Meines-Gleichen? Und alle Die sind Meines-Gleichen, die sich selber ihren Willen geben und alle Ergebung von sich abthun.

    Ich bin Zarathustra, der Gottlose: ich koche mir noch jeden Zufall in meinem Topfe. Und erst, wenn er da gar gekocht ist, heisse ich ihn willkommen, als meine Speise.

    Und wahrlich, mancher Zufall kam herrisch zu mir: aber herrischer noch sprach zu ihm mein Wille, – da lag er schon bittend auf den Knieen –

    – bittend, dass er Herberge finde und Herz bei mir, und schmeichlerisch zuredend: »sieh doch; oh Zarathustra, wie nur Freund zu Freunde kommt!« –

    Doch was rede ich, wo Niemand meine Ohren hat! Und so will ich es hinaus in alle Winde rufen:

    Ihr werdet immer kleiner, ihr kleinen Leute! Ihr bröckelt ab, ihr Behaglichen! Ihr geht mir noch zu Grunde

    – an euren vielen kleinen Tugenden, an eurem vielen kleinen Unterlassen, an eurer vielen kleinen Ergebung!

    Zu viel schonend, zu viel nachgebend: so ist euer Erdreich! Aber dass ein Baum gross werde, dazu will er um harte Felsen harte Wurzeln schlagen!

    Auch was ihr unterlasse, webt am Gewebe aller Menschen-Zukunft; auch euer Nichts ist ein Spinnennetz und eine Spinne, die von der Zukunft Blute lebt.

    Und wenn ihr nehmt, so ist es wie stehlen, ihr kleinen Tugendhaften; aber noch unter Schelmen spricht die Ehre : »man soll nur stehlen, wo man nicht rauben kann.«

    »Es giebt sich« – das ist auch eine Lehre der Ergebung. Aber ich sage euch, ihr Behaglichen: es nimmt sich und wird immer mehr noch von euch nehmen!

    Ach, dass ihr alles halbe Wollen von euch abthätet und entschlossen würdet zur Trägheit wie zur That!

    Ach, dass ihr mein Wort verstündet: »thut immerhin, was ihr wollt, – aber seid erst Solche, die wollen können!«

    »Liebt immerhin euren Nächsten gleich euch, – aber seid mir erst solche, die sich selber lieben –

    – mit der grossen Liebe lieben, mit der grossen Verachtung lieben!« Also spricht Zarathustra, der Gottlose. –

    Doch was rede ich, wo Niemand meine Ohren hat! Es ist hier noch eine Stunde zu früh für mich.

    Mein eigner Vorläufer bin ich unter diesem Volke, mein eigner Hahnen-Ruf durch dunkle Gassen.

    Aber ihre Stunde kommt! Und es kommt auch die meine! Stündlich werden sie kleiner, ärmer, unfruchtbarer, – armes Kraut! armes Erdreich!

    Und bald sollen sie mir dastehn wie dürres Gras und Steppe, und wahrlich! ihrer selber müde – und mehr, als nach Wasser, nach Feuer lechzend!

    Oh gesegnete Stunde des Blitzes! Oh Geheimniss vor Mittag! – Laufende Feuer will ich einst noch aus ihnen machen und Verkünder mit Flammen-Zungen: –

    – verkünden sollen sie einst noch mit Flammen-Zungen: Er kommt, er ist nahe, der grosse Mittag!

    Also sprach Zarathustra.

                                             Auf dem Oelberge

    Der Winter, ein schlimmer Gast, sitzt bei mir zu Hause; blau sind meine Hände von seiner Freundschaft Händedruck.

    Ich ehre ihn, diesen schlimmen Gast, aber lasse gerne ihn allein sitzen. Gerne laufe ich ihm davon; und, läuft man gut, so entläuft man ihm!

    Mit warmen Füssen und warmen Gedanken laufe ich dorthin, wo der Wind stille steht, – zum Sonnen-Winkel meines Oelbergs.

    Da lache ich meines gestrengen Gastes und bin ihm noch gut, dass er zu Hause mir die Fliegen wegfängt und vielen kleinen Lärm stille macht.

    Er leidet es nämlich nicht, wenn eine Mücke singen will, oder gar zwei; noch die Gasse macht er einsam, dass der Mondschein drin Nachts sich fürchtet.

    Ein harter Gast ist er, – aber ich ehre ihn, und nicht bete ich, gleich den Zärtlingen, zum dickbäuchichten Feuer-Götzen.

    Lieber noch ein Wenig zähneklappern als Götzen anbeten! – so will's meine Art. Und sonderlich bin ich allen brünstigen dampfenden dumpfigen Feuer-Götzen gram.

    Wen ich liebe, den liebe ich Winters besser als Sommers; besser spotte ich jetzt meiner Feinde und herzhafter, seit der Winter mir im Hause sitzt.

    Herzhaft wahrlich, selbst dann noch, wenn ich zu Bett krieche –: da lacht und muthwillt noch mein verkrochenes Glück; es lacht noch mein Lügen-Traum.

    Ich – ein Kriecher? Niemals kroch ich im Leben vor Mächtigen; und log ich je, so log ich aus Liebe. Desshalb bin ich froh auch im Winter-Bette.

    Ein geringes Bett wärmt mich mehr als ein reiches, denn ich bin eifersüchtig auf meine Armuth. Und im Winter ist sie mir am treuesten.

    Mit einer Bosheit beginne ich jeden Tag, ich spotte des Winters mit einem kalten Bade: darob brummt mein gestrenger Hausfreund.

    Auch kitzle ich ihn gerne mit einem Wachskerzlein: dass er mir endlich den Himmel herauslasse aus aschgrauer Dämmerung.

    Sonderlich boshaft bin ich nämlich des Morgens: zur frühen Stunde, da der Eimer am Brunnen klirrt und die Rosse warm durch graue Gassen wiehern: –

    Ungeduldig warte ich da, dass mir endlich der lichte Himmel aufgehe, der schneebärtige Winter-Himmel, der Greis und Weisskopf, –

    – der Winter-Himmel, der schweigsame, der oft noch seine Sonne verschweigt!

    Lernte ich wohl von ihm das lange lichte Schweigen? Oder lernte er's von mir? Oder hat ein jeder von uns es selbst erfunden?

    Aller guten Dinge Ursprung ist tausendfältig, – alle guten muthwilligen Dinge springen vor Lust in's Dasein: wie sollten sie das immer nur – Ein Mal thun!

    Ein gutes muthwilliges Ding ist auch das lange Schweigen und gleich dem Winter-Himmel blicken aus lichtem rundäugichten Antlitze: –

    – gleich ihm seine Sonne verschweigen und seinen unbeugsamen Sonnen-Willen: wahrlich, diese Kunst und diesen Winter-Muthwillen lernte ich gut!

    Meine liebste Bosheit und Kunst ist es, dass mein Schweigen lernte, sich nicht durch Schweigen zu verrathen.
Mit Worten und Würfeln klappernd überliste ich mir die feierlichen Warter: allen diesen gestrengen Aufpassern soll mein Wille und Zweck entschlüpfen.

    Dass mir Niemand in meinen Grund und letzten Willen hinab sehe, – dazu erfand ich mir das lange lichte Schweigen.

    So manchen Klugen fand ich: der verschleierte sein Antlitz und trübte sein Wasser, dass Niemand ihm hindurch und hinunter sehe.

    Aber zu ihm gerade kamen die klügeren Misstrauer und Nussknacker: ihm gerade fischte man seinen verborgensten Fisch heraus!

    Sondern die Hellen, die Wackern, die Durchsichtigen – das sind mir die klügsten Schweiger: denen so tief ihr Grund ist, dass auch das hellste Wasser ihn nicht – verräth. –

    Du schneebärtiger schweigender Winter-Himmel, du rundäugichter Weisskopf über mir! Oh du himmlisches Gleichniss meiner Seele und ihres Muthwillens!

    Und muss ich mich nicht verbergen, gleich Einem, der Gold verschluckt hat, – dass man mir nicht die Seele aufschlitze?

    Muss ich nicht Stelzen tragen, dass sie meine langen Beine übersehen, – alle diese Neidbolde und Leidholde, die um mich sind?

    Diese räucherigen, stubenwarmen, verbrauchten, vergrünten, vergrämelten Seelen – wie könnte ihr Neid mein Glück ertragen!

    So zeige ich ihnen nur das Eis und den Winter auf meinen Gipfeln – und nicht, dass mein Berg noch alle Sonnengürtel um sich schlingt!

    Sie hören nur meine Winter-Stürme pfeifen: und nicht, dass ich auch über warme Meere fahre, gleich sehnsüchtigen, schweren, heissen Südwinden.

    Sie erbarmen sich noch meiner Unfälle und Zufälle: – aber mein Wort heisst: »lasst den Zufall zu mir kommen: unschuldig ist er, wie ein Kindlein!«

    Wie könnten sie mein Glück ertragen, wenn ich nicht Unfälle und Winter-Nöthe und Eisbären-Mützen und Schneehimmel-Hüllen um mein Glück legte!

    – wenn ich mich nicht selbst ihres Mitleids erbarmte – des Mitleids dieser Neidbolde und Leidholde!

    – wenn ich nicht selber vor ihnen seufzte und frostklapperte und mich geduldsam in ihr Mitleid wickeln liesse!

    Diess ist der weise Muthwille und Wohlwille meiner Seele, dass sie ihren Winter und ihre Froststürme nicht verbirgt; sie verbirgt auch ihre Frostbeulen nicht.

    Des Einen Einsamkeit ist die Flucht des Kranken; des Andern Einsamkeit die Flucht vor den Kranken.

    Mögen sie mich klappern und seufzen hören vor Winterkälte, alle diese armen scheelen Schelme um mich! Mit solchem Geseufz und Geklapper flüchte ich noch vor ihren geheizten Stuben.

    Mögen sie mich bemitleiden und bemitseufzen ob meiner Frostbeulen: »am Eis der Erkenntniss erfriert er uns noch!« – so klagen sie.

    Inzwischen laufe ich mit warmen Füssen kreuz und quer auf meinem Oelberge: im Sonnen-Winkel meines Oelberges singe und spotte ich alles Mitleids. –

    Also sang Zarathustra.

                                             Vom Vorübergehen

    Also, durch viel Volk und vielerlei Städte langsam hindurchschreitend, gieng Zarathustra auf Umwegen zurück zu seinem Gebirge und seiner Höhle. Und siehe, dabei kam er unversehens auch an das Stadtthor der grossen Stadt : hier aber sprang ein schäumender Narr mit ausgebreiteten Händen auf ihn zu und trat ihm in den Weg. Diess aber war der selbige Narr, welchen das Volk »den Affen Zarathustra's« hiess: denn er hatte ihm Etwas vom Satz und Fall der Rede abgemerkt und borgte wohl auch gerne vom Schatze seiner Weisheit. Der Narr aber redete also zu Zarathustra:

    »Oh Zarathustra, hier ist die grosse Stadt: hier hast du Nichts zu suchen und Alles zu verlieren.

    Warum wolltest du durch diesen Schlamm waten? Habe doch Mitleiden mit deinem Fusse! Speie lieber auf das Stadtthor und – kehre um!

    Hier ist die Hölle für Einsiedler-Gedanken: hier werden grosse Gedanken lebendig gesotten und klein gekocht.

    Hier verwesen alle grossen Gefühle: hier dürfen nur klapperdürre Gefühlchen klappern!

    Riechst du nicht schon die Schlachthäuser und Garküchen des Geistes? Dampft nicht diese Stadt vom Dunst geschlachteten Geistes?

    Siehst du nicht die Seelen hängen wie schlaffe schmutzige Lumpen? – Und sie machen noch Zeitungen aus diesen Lumpen!

    Hörst du nicht, wie der Geist hier zum Wortspiel wurde? Widriges Wort-Spülicht bricht er heraus! – Und sie machen noch Zeitungen aus diesem Wort-Spülicht.

    Sie hetzen einander und wissen nicht, wohin? Sie erhitzen einander und wissen nicht, warum? Sie klimpern mit ihrem Bleche, sie klingeln mit ihrem Golde.

    Sie sind kalt und suchen sich Wärme bei gebrannten Wassern; sie sind erhitzt und suchen Kühle bei gefrorenen Geistern; sie sind Alle siech und süchtig an öffentlichen Meinungen.

    Alle Lüste und Laster sind hier zu Hause; aber es giebt hier auch Tugendhafte, es giebt viel anstellige angestellte Tugend: –

    Viel anstellige Tugend mit Schreibfingern und hartem Sitz- und Warte-Fleische, gesegnet mit kleinen Bruststernen und ausgestopften steisslosen Töchtern.

    Es giebt hier auch viel Frömmigkeit und viel gläubige Speichel-Leckerei, Schmeichel-Bäckerei vor dem Gott der Heerschaaren.

    »Von Oben« her träufelt ja der Stern und der gnädige Speichel; nach Oben hin sehnt sich jeder sternenlose Busen.

    Der Mond hat seinen Hof, und der Hof hat seine Mondkälber: zu Allem aber, was vom Hofe kommt, betet das Bettel-Volk und alle anstellige Bettel-Tugend.

    »Ich diene, du dienst, wir dienen« – so betet alle anstellige Tugend hinauf zum Fürsten: dass der verdiente Stern sich endlich an den schmalen Busen hefte!

    Aber der Mond dreht sich noch um alles Irdische: so dreht sich auch der Fürst noch um das Aller-Irdischste –: das aber ist das Gold der Krämer.

    Der Gott der Heerschaaren ist kein Gott der Goldbarren; der Fürst denkt, aber der Krämer – lenkt!

    Bei Allem, was licht und stark und gut in dir ist, oh Zarathustra! Speie auf diese Stadt der Krämer und kehre um!

    Hier fliesst alles Blut faulicht und lauicht und schaumicht durch alle Adern: speie auf die grosse Stadt, welche der grosse Abraum ist, wo aller Abschaum zusammenschäumt!

    Speie auf die Stadt der eingedrückten Seelen und schmalen Brüste, der spitzen Augen, der klebrigen Finger –

    – auf die Stadt der Aufdringlinge, der Unverschämten, der Schreib- und Schreihälse, der überheizten Ehrgeizigen: –

    – wo alles Anbrüchige, Anrüchige, Lüsterne, Düsterne, Übermürbe, Geschwürige, Verschwörerische zusammenschwärt: –

    – speie auf die grosse Stadt und kehre um!« – –

    Hier aber unterbrach Zarathustra den schäumenden Narren und hielt ihm den Mund zu.

    »Höre endlich auf! rief Zarathustra, mich ekelt lange schon deiner Rede und deiner Art!

    Warum wohntest du so lange am Sumpfe, dass du selber zum Frosch und zur Kröte werden musstest?

    Fliesst dir nicht selber nun ein faulichtes schaumichtes Sumpf-Blut durch die Adern, dass du also quaken und lästern lerntest?

    Warum giengst du nicht in den Wald? Oder pflügtest die Erde? Ist das Meer nicht voll von grünen Eilanden?

    Ich verachte dein Verachten; und wenn du mich warntest, – warum warntest du dich nicht selber?

    Aus der Liebe allein soll mir mein Verachten und mein warnender Vogel auffliegen: aber nicht aus dem Sumpfe! –

    Man heisst dich meinen Affen, du schäumender Narr: aber ich heisse dich mein Grunze-Schwein, – durch Grunzen verdirbst du mir noch mein Lob der Narrheit.

    Was war es denn, was dich zuerst grunzen machte? Dass Niemand dir genug geschmeichelt hat: – darum setztest du dich hin zu diesem Unrathe, dass du Grund hättest viel zu grunzen, –

    – dass du Grund hättest zu vieler Rache! Rache nämlich, du eitler Narr, ist all dein Schäumen, ich errieth dich wohl!

    Aber dein Narren-Wort thut mir Schaden, selbst, wo du Recht hast! Und wenn Zarathustra's Wort sogar hundert Mal Recht hätte : du würdest mit meinem Wort immer – Unrecht thun!«

    Also sprach Zarathustra; und er blickte die grosse Stadt an, seufzte und schwieg lange. Endlich redete er also:

    Mich ekelt auch dieser grossen Stadt und nicht nur dieses Narren. Hier und dort ist Nichts zu bessern, Nichts zu bösern.

    Wehe dieser grossen Stadt! – Und ich wollte, ich sähe schon die Feuersäule, in der sie verbrannt wird!

    Denn solche Feuersäulen müssen dem grossen Mittage vorangehn. Doch diess hat seine Zeit und sein eigenes Schicksal. –

    Diese Lehre aber gebe ich dir, du Narr, zum Abschiede: wo man nicht mehr lieben kann, da soll man – vorübergehn! –

    Also sprach Zarathustra und gieng an dem Narren und der grossen Stadt vorüber.

                                             Von den Abtrünnigen
                                                       1

    Ach, liegt Alles schon welk und grau, was noch jüngst auf dieser Wiese grün und bunt stand? Und wie vielen Honig der Hoffnung trug ich von hier in meine Bienenkörbe!

    Diese jungen Herzen sind alle schon alt geworden, – und nicht alt einmal! nur müde, gemein, bequem: – sie heissen es »Wir sind wieder fromm geworden.«

    Noch jüngst sah ich sie in der Frühe auf tapferen Füssen hinauslaufen: aber ihre Füsse der Erkenntniss wurden müde, und nun verleumden sie auch noch ihre Morgen-Tapferkeit!

    Wahrlich, Mancher von ihnen hob einst die Beine wie ein Tänzer, ihm winkte das Lachen in meiner Weisheit: – da besann er sich. Eben sah ich ihn krumm – zum Kreuze kriechen.

    Um Licht und Freiheit flatterten sie einst gleich Mücken und jungen Dichtern. Ein Wenig älter, ein Wenig kälter: und schon sind sie Dunkler und Munkler und Ofenhocker.

    Verzagte ihnen wohl das Herz darob, dass mich die Einsamkeit verschlang gleich einem Wallfische? Lauschte ihr Ohr wohl sehnsüchtig-lange umsonst nach mir und meinen Trompeten- und Herolds-Rufen?

    – Ach! Immer sind ihrer nur Wenige, deren Herz einen langen Muth und Übermuth hat; und solchen bleibt auch der Geist geduldsam. Der Rest aber ist feige.

    Der Rest: das sind immer die Allermeisten, der Alltag, der Überfluss, die Viel-zu-Vielen – diese alle sind feige! –

    Wer meiner Art ist, dem werden auch die Erlebnisse meiner Art über den Weg laufen: also, dass seine ersten Gesellen Leichname und Possenreisser sein müssen.

    Seine zweiten Gesellen aber – die werden sich seine Gläubigen heissen: ein lebendiger Schwarm, viel Liebe, viel Thorheit, viel unbärtige Verehrung.

    An diese Gläubigen soll Der nicht sein Herz binden, wer meiner Art unter Menschen ist; an diese Lenze und bunte Wiesen soll Der nicht glauben, wer die flüchtig-feige Menschenart kennt!

    Könnten sie anders, so würden sie auch anders wollen. Halb- und Halbe verderben alles Ganze. Dass Blätter welk werden, – was ist da zu klagen!

    Lass sie fahren und fallen, oh Zarathustra, und klage nicht! Lieber noch blase mit raschelnden Winden unter sie, –
– blase unter diese Blätter, oh Zarathustra: dass alles Welke schneller noch von dir davonlaufen! –

                                                       2

    »Wir sind wieder fromm geworden« – so bekennen diese Abtrünnigen; und Manche von ihnen sind noch zu feige, also zu bekennen.

    Denen sehe ich in's Auge, – denen sage ich es in's Gesicht und in die Röthe ihrer Wangen: ihr seid Solche, welche wieder beten!

    Es ist aber eine Schmach, zu beten! Nicht für Alle, aber für dich und mich und wer auch im Kopfe sein Gewissen hat. Für dich ist es eine Schmach, zu beten!

    Du weisst es wohl: dein feiger Teufel in dir, der gerne Hände-falten und Hände-in-den-Schooss-legen und es bequemer haben möchte: – dieser feige Teufel redet dir zu »es giebt einen Gott!«

    Damit aber gehörst du zur lichtscheuen Art, denen Licht nimmer Ruhe lässt; nun musst du täglich deinen Kopf tiefer in Nacht und Dunst stecken!

    Und wahrlich, du wähltest die Stunde gut: denn eben wieder fliegen die Nachtvögel aus. Die Stunde kam allem lichtscheuen Volke, die Abend- und Feierstunde, wo es nicht – »feiert.«

    Ich höre und rieche es: es kam ihre Stunde für Jagd und Umzug, nicht zwar für eine wilde Jagd, sondern für eine zahme lahme schnüffelnde Leisetreter- und Leisebeter-Jagd, –

    – für eine Jagd auf seelenvolle Duckmäuser: alle Herzens- Mausefallen sind jetzt wieder aufgestellt! Und wo ich einen Vorhang aufhebe, da kommt ein Nachtfalterchen herausgestürzt.

    Hockte es da wohl zusammen mit einem andern Nachtfalterchen? Denn überall rieche ich kleine verkrochne Gemeinden; und wo es Kämmerlein giebt, da giebt es neue Bet-Brüder drin und den Dunst von Bet-Brüdern.

    Sie sitzen lange Abende bei einander und sprechen: lasset uns wieder werden wie die Kindlein und »lieber Gott« sagen!« – an Mund und Magen verdorben durch die frommen Zuckerbäcker.

    Oder sie sehen lange Abende einer listigen lauernden Kreuzspinne zu, welche den Spinnen selber Klugheit predigt und also lehrt: »unter Kreuzen ist gut spinnen!«

    Oder sie sitzen Tags über mit Angelruthen an Sümpfen und glauben sich tief damit; aber wer dort fischt, wo es keine Fische giebt, den heisse ich noch nicht einmal oberflächlich!

    Oder sie lernen fromm-froh die Harfe schlagen bei einem Lieder-Dichter, der sich gern jungen Weibchen in's Herz harfnen möchte: – denn er wurde der alten Weibchen müde und ihres Lobpreisens.

    Oder sie lernen gruseln bei einem gelehrten Halb-Tollen, der in dunklen Zimmern wartet, dass ihm die Geister kommen – und der Geist ganz davonläuft!

    Oder sie horchen einem alten umgetriebnen Schnurr- und Knurrpfeifer zu, der trüben Winden die Trübsal der Töne ablernte; nun pfeift er nach dem Winde und predigt in trüben Tönen Trübsal.

    Und Einige von ihnen sind sogar Nachtwächter geworden: die verstehen jetzt in Hörner zu blasen und Nachts umherzugehn und alte Sachen aufzuwecken, die lange schon eingeschlafen sind.

    Fünf Worte von alten Sachen hörte ich gestern Nachts an der Garten-Mauer: die kamen von solchen alten betrübten trocknen Nachtwächtern.

    »Für einen Vater sorgt er nicht genug um seine Kinder: Menschen-Väter thun diess besser!« –

    »Er ist zu alt! Er sorgt schon gar nicht mehr um seine Kinder« – also antwortete der andere Nachtwächter.

    »Hat er denn Kinder? Niemand kann's beweisen, wenn er's selber nicht beweist! Ich wollte längst, er bewiese es einmal gründlich.«

    »Beweisen? Als ob Der je Etwas bewiesen hätte! Beweisen fällt ihm schwer; er hält grosse Stücke darauf, dass man ihm glaubt.«

    »Ja! Ja! Der Glaube macht ihn selig, der Glaube an ihn. Das ist so die Art alter Leute! So geht's uns auch!« –

    – Also sprachen zu einander die zwei alten Nachtwächter und Lichtscheuchen, und tuteten darauf betrübt in ihre Hörner: so geschah's gestern Nachts an der Garten-Mauer.

    Mir aber wand sich das Herz vor Lachen und wollte brechen und wusste nicht, wohin? und sank in's Zwerchfell.

    Wahrlich, das wird noch mein Tod sein, dass ich vor Lachen ersticke, wenn ich Esel betrunken sehe und Nachtwächter also an Gott zweifeln höre.

    Ist es denn nicht lange vorbei auch für alle solche Zweifel? Wer darf noch solche alte eingeschlafne lichtscheue Sachen aufwecken!

    Mit den alten Göttern gieng es ja lange schon zu Ende: – und wahrlich, ein gutes fröhliches Götter-Ende hatten sie!

    Sie »dämmerten« sich nicht zu Tode, – das lügt man wohl! Vielmehr: sie haben sich selber einmal zu Tode – gelacht!

    Das geschah, als das gottloseste Wort von einem Gotte selber ausgieng, – das Wort: »Es ist Ein Gott! Du sollst keinen andern Gott haben neben mir!« –

    – ein alter Grimm-Bart von Gott, ein eifersüchtiger vergass sich also:

    Und alle Götter lachten damals und wackelten auf ihren Stühlen und riefen: »Ist das nicht eben Göttlichkeit, dass es Götter, aber keinen Gott giebt?«

    Wer Ohren hat, der höre. –

    Also redete Zarathustra in der Stadt, die er liebte und welche zubenannt ist die bunte Kuh.' Von hier nämlich hatte er nur noch zwei Tage zu gehen, dass er wieder in seine Höhle käme und zu seinen Thieren; seine Seele aber frohlockte beständig ob der Nähe seiner Heimkehr. –

                                             Die Heimkehr

    Oh Einsamkeit! Du meine Heimat Einsamkeit! Zu lange lebte ich wild in wilder Fremde, als dass ich nicht mit Thränen zu dir heimkehrte!

    Nun drohe mir nur mit dem Finger, wie Mütter drohn, nein lächle mir zu, wie Mütter lächeln, nun sprich nur: »Und wer war das, der wie ein Sturmwind einst von mir davonstürmte? –

    »- der scheidend rief: zu lange sass ich bei der Einsamkeit, da verlernte ich das Schweigen! D a s – lerntest du nun wohl?

    »Oh Zarathustra, Alles weiss ich: und dass du unter den Vielen verlassener warst, du Einer, als je bei mir!

    »Ein Anderes ist Verlassenheit, ein Anderes Einsamkeit: Das – lerntest du nun! Und dass du unter Menschen immer wild und fremd sein wirst:

    »-Wild und fremd auch noch, wenn sie dich lieben: denn zuerst von Allem wollen sie geschont sein!

    »Hier aber bist du bei dir zu Heim und Hause; hier kannst du Alles hinausreden und alle Gründe ausschütten, Nichts schämt sich hier versteckter, verstockter Gefühle.

    »Hier kommen alle Dinge liebkosend zu deiner Rede und schmeicheln dir: denn sie wollen auf deinem Rücken reiten. Auf jedem Gleichniss reitest du hier zu jeder Wahrheit.

    »Aufrecht und aufrichtig darfst du hier zu allen Dingen reden: und wahrlich, wie Lob klingt es ihren Ohren, dass Einer mit allen Dingen – gerade redet!

    »Ein Anderes aber ist Verlassensein. Denn, weisst du noch, oh Zarathustra? Als damals dein Vogel über dir schrie, als du im Walde standest, unschlüssig, wohin? unkundig, einem Leichnam nahe: –

    »- als du sprachst: mögen mich meine Thiere führen! Gefährlicher fand ich's unter Menschen, als unter Thieren: – Das war Verlassenheit!

    »Und weisst du noch, oh Zarathustra? Als du auf deiner Insel sassest, unter leeren Eimern ein Brunnen Weins, gebend und ausgebend, unter Durstigen schenkend und ausschenkend:

    »- bis du endlich durstig allein unter Trunkenen sassest und nächtlich klagtest »ist Nehmen nicht seliger als Geben? Und Stehlen noch seliger als Nehmen?« – Das war Verlassenheit!

    »Und weisst du noch, oh Zarathustra? Als deine stillste Stunde kam und dich von dir selber forttrieb, als sie mit bösem Flüstern sprach: Sprich und zerbrich!« –

    »- als sie dir all dein Warten und Schweigen leid machte und deinen demüthigen Muth entmuthigte: Das war Verlassenheit!« –

    Oh Einsamkeit! Du meine Heimat Einsamkeit! Wie selig und zärtlich redet deine Stimme zu mir!

    Wir fragen einander nicht, wir klagen einander nicht, wir gehen offen mit einander durch offne Thüren.

    Denn offen ist es bei dir und hell; und auch die Stunden laufen hier auf leichteren Füssen. Im Dunklen nämlich trägt man schwerer an der Zeit, als im Lichte.

    Hier springen mir alles Seins Worte und Wort-Schreine auf: alles Sein will hier Wort werden, alles Werden will hier von mir reden lernen.

    Da unten aber – da ist alles Reden umsonst! Da ist Vergessen und Vorübergehn die beste Weisheit: Das – lernte ich nun!

    Wer Alles bei den Menschen begreifen wollte, der müsste Alles angreifen. Aber dazu habe ich zu reinliche Hände.

    Ich mag schon ihren Athem nicht einathmen; ach, dass ich so lange unter ihrem Lärm und üblem Athem lebte!

    Oh selige Stille um mich! Oh reine Gerüche um mich! Oh wie aus tiefer Brust diese Stille reinen Athem holt! Oh wie sie horcht, diese selige Stille!

    Aber da unten – da redet Alles, da wird Alles überhört. Man mag seine Weisheit mit Glocken einläuten: die Krämer auf dem Markte werden sie mit Pfennigen überklingeln!

    Alles bei ihnen redet, Niemand weiss mehr zu verstehn. Alles fällt in's Wasser, Nichts fällt mehr in tiefe Brunnen.

    Alles bei ihnen redet, Nichts geräth mehr und kommt zu Ende. Alles gackert, aber wer will noch still auf dem Neste sitzen und Eier brüten?

    Alles bei ihnen redet, Alles wird zerredet. Und was gestern noch zu hart war für die Zeit selber und ihren Zahn: heute hängt es zerschabt und zernagt aus den Mäulern der Heutigen.

    Alles bei ihnen redet, Alles wird verrathen. Und was einst Geheimniss hiess und Heimlichkeit tiefer Seelen, heute gehört es den Gassen-Trompetern und andern Schmetterlingen.

    Oh Menschenwesen, du wunderliches! Du Lärm auf dunklen Gassen! Nun liegst du wieder hinter mir: – meine grösste Gefahr liegt hinter mir!

    Im Schonen und Mitleiden lag immer meine grösste Gefahr; und alles Menschenwesen will geschont und gelitten sein.

    Mit verhaltenen Wahrheiten, mit Narrenhand und vernarrtem Herzen und reich an kleinen Lügen des Mitleidens: – also lebte ich immer unter Menschen.

    Verkleidet sass ich unter ihnen, bereit, mich zu verkennen, dass ich sie ertrüge, und gern mir zuredend »du Narr, du kennst die Menschen nicht!«

    Man verlernt die Menschen, wenn man unter Menschen lebt: zu viel Vordergrund ist an allen Menschen, – was sollen da weitsichtige, weit-süchtige Augen!

    Und wenn sie mich verkannten: ich Narr schonte sie darob mehr, als mich: gewohnt zur Härte gegen mich und oft noch an mir selber mich rächend für diese Schonung.

    Zerstochen von giftigen Fliegen und ausgehöhlt, dem Steine gleich, von vielen Tropfen Bosheit, so sass ich unter ihnen und redete mir noch zu: »unschuldig ist alles Kleine an seiner Kleinheit!«

    Sonderlich Die, welche sich »die Guten« heissen, fand ich als die giftigsten Fliegen: sie stechen in aller Unschuld, sie lügen in aller Unschuld; wie vermöchten sie, gegen mich – gerecht zu sein!

    Wer unter den Guten lebt, den lehrt Mitleid lügen. Mitleid macht dumpfe Luft allen freien Seelen. Die Dummheit der Guten nämlich ist unergründlich.

    Mich selber verbergen und meinen Reichthum – das lernte ich da unten: denn jeden fand ich noch arm am Geiste. Das war der Lug meines Mitleidens, dass ich bei jedem wusste,

    – dass ich jedem es ansah und anroch, was ihm Geistes genug und was ihm schon Geistes zuviel war!

    Ihre steifen Weisen: ich hiess sie weise, nicht steif, – so lernte ich Worte verschlucken. Ihre Todtengräber: ich hiess sie Forscher und Prüfer, – so lernte ich Worte vertauschen.

    Die Todtengräber graben sich Krankheiten an. Unter altem Schutte ruhn schlimme Dünste. Man soll den Morast nicht aufrühren. Man soll auf Bergen leben.

    Mit seligen Nüstern athme ich wieder Berges-Freiheit! Erlöst ist endlich meine Nase vom Geruch alles Menschenwesens!

    Von scharfen Lüften gekitzelt, wie von schäumenden Weinen, niest meine Seele, – niest und jubelt sich zu: Gesundheit!

    Also sprach Zarathustra.

                                         Von den drei Bösen
                                                              1

    Im Traum, im letzten Morgentraume stand ich heut auf einem Vorgebirge, – jenseits der Welt, hielt eine Wage und wog die Welt.

    Oh dass zu früh mir die Morgenröthe kam: die glühte mich wach, die Eifersüchtige! Eifersüchtig ist sie immer auf meine Morgentraum-Gluthen.

    Messbar für Den, der Zeit hat, wägbar für einen guten Wäger, erfliegbar für starke Fittige, errathbar für göttliche Nüsseknacker: also fand mein Traum die Welt: –

    Mein Traum, ein kühner Segler, halb Schiff, halb Windsbraut, gleich Schmetterlingen schweigsam, ungeduldig gleich Edelfalken: wie hatte er doch zum Welt-Wägen heute Geduld und Weile!

    Sprach ihm heimlich wohl meine Weisheit zu, meine lachende wache Tags-Weisheit, welche über alle »unendliche Welten« spottet? Denn sie spricht: »wo Kraft ist, wird auch die Zahl Meisterin: die hat mehr Kraft.«

    Wie sicher schaute mein Traum auf diese endliche Welt, nicht neugierig, nicht altgierig, nicht fürchtend, nicht bittend: –

    – als ob ein voller Apfel sich meiner Hand böte, ein reifer Goldapfel, mit kühl-sanfter sammtener Haut: – so bot sich mir die Welt: –

    – als ob ein Baum mir winke, ein breitästiger, starkwilliger, gekrümmt zur Lehne und noch zum Fussbrett für den Wegmüden: so stand die Welt auf meinem Vorgebirge: –

    – als ob zierliche Hände mir einen Schrein entgegentrügen, – einen Schrein offen für das Entzücken schamhafter verehrender Augen: also bot sich mir heute die Welt entgegen: –

    – nicht Räthsel genug, um Menschen-Liebe davon zu scheuchen, nicht Lösung genug, um Menschen-Weisheit

    einzuschläfern: – ein menschlich gutes Ding war mir heut die Welt, der man so Böses nachredet!

    Wie danke ich es meinem Morgentraum, dass ich also in der Frühe heut die Welt wog! Als ein menschlich gutes Ding kam er zu mir, dieser Traum und Herzenströster!

    Und dass ich's ihm gleich thue am Tage und sein Bestes ihm nach- und ablerne: will ich jetzt die drei bösesten Dinge auf die Wage thun und menschlich gut abwägen. –

    Wer da segnen lehrte, der lehrte auch fluchen: welches sind in der Welt die drei bestverfluchten Dinge? Diese will ich auf die Wage thun.

    Wollust, Herrschsucht, Selbstsucht: diese Drei wurden bisher am besten verflucht und am schlimmsten beleu- und belügenmundet, – diese Drei will ich menschlich gut abwägen.

    Wohlauf! Hier ist mein Vorgebirg und da das Meer: das wälzt sich zu mir heran, zottelig, schmeichlerisch, das getreue alte hundertköpfige Hunds-Ungethüm, das ich liebe.

    Wohlauf! Hier will ich die Wage halten über gewälztem Meere: und auch einen Zeugen wähle ich, dass er zusehe, – dich, du Einsiedler-Baum, dich starkduftigen, breitgewölbten, den ich liebe! –

    Auf welcher Brücke geht zum Dereinst das Jetzt? Nach welchem Zwange zwingt das Hohe sich zum Niederen? Und was heisst auch das Höchste noch – hinaufwachsen? –

    Nun steht die Wage gleich und still: drei schwere Fragen warf ich hinein, drei schwere Antworten trägt die andre Wagschale.

                                                       2

    Wollust: allen busshemdigen Leib-Verächtern ihr Stachel und Pfahl, und als »Welt« verflucht bei allen Hinterweltlern: denn sie höhnt und narrt alle Wirr- und Irr-Lehrer.

    Wollust: dem Gesindel das langsame Feuer, auf dem es verbrannt wird; allem wurmichten Holze, allen stinkenden Lumpen der bereite Brunst- und Brodel-Ofen.

    Wollust: für die freien Herzen unschuldig und frei, das Garten-Glück der Erde, aller Zukunft Dankes-Überschwang an das Jetzt.

    Wollust: nur dem Welken ein süsslich Gift, für die Löwen-Willigen aber die grosse Herzstärkung, und der ehrfürchtig geschonte Wein der Weine.

    Wollust: das grosse Gleichniss-Glück für höheres Glück und höchste Hoffnung. Vielem nämlich ist Ehe verheissen und mehr als Ehe, –

    – Vielem, das fremder sich ist, als Mann und Weib: – und wer begriff es ganz, wie fremd sich Mann und Weib sind!

    Wollust: – doch ich will Zäune um meine Gedanken haben und auch noch um meine Worte: dass mir nicht in meine Gärten die Schweine und Schwärmer brechen! –

    Herrschsucht: die Glüh-Geissel der härtesten Herzensharten; die grause Marter, die sich dem Grausamsten selber aufspart; die düstre Flamme lebendiger Scheiterhaufen.

    Herrschsucht: die boshafte Bremse, die den eitelsten Völkern aufgesetzt wird; die Verhöhnerin aller ungewissen Tugend; die auf jedem Rosse und jedem Stolze reitet.

    Herrschsucht: das Erdbeben, das alles Morsche und Höhlichte bricht und aufbricht; die rollende grollende strafende Zerbrecherin übertünchter Gräber; das blitzende Fragezeichen neben vorzeitigen Antworten.

    Herrschsucht: vor deren Blick der Mensch kriecht und duckt und fröhnt und niedriger wird als Schlange und Schwein: – bis endlich die grosse Verachtung aus ihm aufschreie –,

    Herrschsucht: die furchtbare Lehrerin der grossen Verachtung, welche Städten und Reichen in's Antlitz predigt »hinweg mit dir!« – bis es aus ihnen selber aufschreie »hinweg mit mir!«

    Herrschsucht: die aber lockend auch zu Reinen und Einsamen und hinauf zu selbstgenugsamen Höhen steigt, glühend gleich einer Liebe, welche purpurne Seligkeiten lockend an Erdenhimmel malt.

    Herrschsucht: doch wer hiesse es Sucht, wenn das Hohe hinab nach Macht gelüstet! Wahrlich, nichts Sieches und Süchtiges ist an solchem Gelüsten und Niedersteigen!

    Dass die einsame Höhe sich nicht ewig vereinsame und selbst begnüge; dass der Berg zu Thale komme und die Winde der Höhe zu den Niederungen: –

    Oh wer fände den rechten Tauf- und Tugendnamen für solche Sehnsucht! »Schenkende Tugend« – so nannte das Unnennbare einst Zarathustra.

    Und damals geschah es auch, – und wahrlich, es geschah zum ersten Male! – dass sein Wort die Selbstsucht selig pries, die heile, gesunde Selbstsucht, die aus mächtiger Seele quillt: –

    – aus mächtiger Seele, zu welcher der hohe Leib gehört, der schöne, sieghafte, erquickliche, um den herum jedwedes Ding Spiegel wird:

    – der geschmeidige überredende Leib, der Tänzer, dessen Gleichniss und Auszug die selbst-lustige Seele ist. Solcher Leiber und Seelen Selbst-Lust heisst sich selber: »Tugend.«

    Mit ihren Worten von Gut und Schlecht schirmt sich solche Selbst-Lust wie mit heiligen Hainen; mit den Namen ihres Glücks bannt sie von sich alles Verächtliche.

    Von sich weg bannt sie alles Feige; sie spricht: Schlecht – das ist feige! Verächtlich dünkt ihr der immer

    Sorgende, Seufzende, Klägliche und wer auch die kleinsten Vortheile aufliest.

    Sie verachtet auch alle wehselige Weisheit: denn, wahrlich, es giebt auch Weisheit, die im Dunklen blüht, eine Nachtschatten-Weisheit: als welche immer seufzt: »Alles ist eitel!«

    Das scheue Misstrauen gilt ihr gering, und Jeder, wer Schwüre statt Blicke und Hände will: auch alle allzu misstrauische Weisheit, – denn solche ist feiger Seelen Art.

    Geringer noch gilt ihr der Schnell-Gefällige, der Hündische, der gleich auf dem Rücken liegt, der Demüthige; und auch Weisheit giebt es, die demüthig und hündisch und fromm und schnellgefällig ist.

    Verhasst ist ihr gar und ein Ekel, wer nie sich wehren will, wer giftigen Speichel und böse Blicke hinunterschluckt, der All-zu-Geduldige, Alles-Dulder, Allgenügsame: das nämlich ist die knechtische Art.

    Ob Einer vor Göttern und göttlichen Fusstritten knechtisch ist, ob vor Menschen und blöden Menschen-Meinungen: alle Knechts-Art speit sie an, diese selige Selbstsucht!

    Schlecht: so beisst sie Alles, was geknickt und knickerisch-knechtisch ist, unfreie Zwinker-Augen, gedruckte Herzen, und jene falsche nachgebende Art, welche mit breiten feigen Lippen küsst.

    Und After-Weisheit: so heisst sie Alles, was Knechte und Greise und Müde witzeln; und sonderlich die ganze schlimme aberwitzige, überwitzige Priester-Narrheit!

    Die After-Weisen aber, alle die Priester, Weltmüden und wessen Seele von Weibs- und Knechtsart ist, – oh wie hat ihr Spiel von jeher der Selbstsucht übel mitgespielt!

    Und Das gerade sollte Tugend sein und Tugend heissen, dass man der Selbstsucht übel mitspiele! Und »selbstlos« – so wünschten sich selber mit gutem Grunde alle diese weltmüden Feiglinge und Kreuzspinnen!

    Aber denen Allen kommt nun der Tag, die Wandlung, das Richtschwert, der grosse Mittag : da soll Vieles offenbar werden!

    Und wer das Ich heil und heilig spricht und die Selbstsucht selig, wahrlich, der spricht auch, was er weiss, ein Weissager: » Siehe, er kommt, er ist nahe, der grosse Mittag!«

    Also sprach Zarathustra.

                                     Vom Geist der Schwere
                                                       1

    Mein Mundwerk – ist des Volks: zu grob und herzlich rede ich für die Seidenhasen. Und noch fremder klingt mein Wort allen Tinten-Fischen und Feder-Füchsen.

    Meine Hand – ist eine Narrenhand: wehe allen Tischen und Wänden, und was noch Platz hat für Narren-Zierath, Narren-Schmierath!

    Mein Fuss – ist ein Pferdefuss; damit trapple und trabe ich über Stock und Stein, kreuz- und querfeld-ein und bin des Teufels vor Lust bei allem schnellen Laufen.

    Mein Magen – ist wohl eines Adlers Magen? Denn er liebt am liebsten Lammfleisch. Gewisslich aber ist er eines Vogels Magen.

    Von unschuldigen Dingen genährt und von Wenigem, bereit und ungeduldig zu fliegen, davonzufliegen – das ist nun meine Art: wie sollte nicht Etwas daran von Vogel-Art sein!

    Und zumal, dass ich dem Geist der Schwere feind bin, das ist Vogel-Art: und wahrlich, todfeind, erzfeind, urfeind! Oh wohin flog und verflog sich nicht schon meine Feindschaft!

    Davon könnte ich schon ein Lied singen – – und will es singen: ob ich gleich allein in leerem Hause bin und es meinen eignen Ohren singen muss.

    Andre Sänger giebt es freilich, denen macht das volle Haus erst ihre Kehle weide, ihre Hand gesprächig, ihr Auge ausdrücklich, ihr Herz wach: – Denen gleiche ich nicht. –

                                                       2

    Wer die Menschen einst fliegen lehrt, der hat alle Grenzsteine verrückt; alle Grenzsteine selber werden ihm in die Luft fliegen, die Erde wird er neu taufen – als »die Leichte.«

    Der Vogel Strauss läuft schneller als das schnellste Pferd, aber auch er steckt noch den Kopf schwer in schwere Erde: also der Mensch, der noch nicht fliegen kann.

    Schwer heisst ihm Erde und Leben; und so will es der Geist der Schwere! Wer aber leicht werden will und ein Vogel, der muss sich selber lieben: – also lehre ich.

    Nicht freilich mit der Liebe der Siechen und Süchtigen: denn bei denen stinkt auch die Eigenliebe!

    Man muss sich selber lieben lernen – also lehre ich – mit einer heilen und gesunden Liebe: dass man es bei sich selber aushalte und nicht umherschweife.

    Solches Umherschweifen tauft sich »Nächstenliebe«: mit diesem Worte ist bisher am besten gelogen und geheuchelt worden, und sonderlich von Solchen, die aller Welt schwer fielen.

    Und wahrlich, das ist kein Gebot für Heute und Morgen, sich lieben lernen. Vielmehr ist von allen Künsten diese die feinste, listigste, letzte und geduldsamste.

    Für seinen Eigener ist nämlich alles Eigene gut versteckt; und von allen Schatzgruben wird die eigne am spätesten ausgegraben, – also schafft es der Geist der Schwere.

    Fast in der Wiege giebt man uns schon schwere Worte und Werthe mit: »gut« und »böse« – so heisst sich diese Mitgift. Um derentwillen vergiebt man uns, dass wir leben.

    Und dazu lässt man die Kindlein zu sich kommen, dass man ihnen bei Zeiten wehre, sich selber zu lieben: also schafft es der Geist der Schwere.

    Und wir – wir schleppen treulich, was man uns mitgiebt, auf harten Schultern und über rauhe Berge! Und schwitzen wir, so sagt man uns: »Ja, das Leben ist schwer zu tragen!«

    Aber der Mensch nur ist sich schwer zu tragen! Das macht, er schleppt zu vieles Fremde auf seinen Schultern. Dem Kameele gleich kniet er nieder und lässt sich gut aufladen.

    Sonderlich der starke, tragsame Mensch, dem Ehrfurcht innewohnt: zu viele fremde schwere Worte und Werthe lädt er auf sich, – nun dünkt das Leben ihm eine Wüste!

    Und wahrlich! Auch manches Eigene ist schwer zu tragen! Und viel Inwendiges am Menschen ist der Auster gleich, nämlich ekel und schlüpfrig und schwer erfasslich –,

    – also dass eine edle Schale mit edler Zierath fürbitten muss. Aber auch diese Kunst muss man lernen: Schale haben und schönen Schein und kluge Blindheit!

    Abermals trügt über Manches am Menschen, dass manche Schale gering und traurig und zu sehr Schale ist. Viel verborgene Güte und Kraft wird nie errathen; die köstlichsten Leckerbissen finden keine Schmecker!

    Die Frauen wissen das, die köstlichsten: ein Wenig fetter, ein Wenig magerer – oh wie viel Schicksal liegt in so Wenigem!

    Der Mensch ist schwer zu entdecken und sich selber noch am schwersten; oft lügt der Geist über die Seele. Also schafft es der Geist der Schwere.

    Der aber hat sich selber entdeckt, welcher spricht: Das ist mein Gutes und Böses: damit hat er den Maulwurf und Zwerg stumm gemacht, welcher spricht »Allen gut, Allen bös.«

    Wahrlich, ich mag auch Solche nicht, denen jegliches Ding gut und diese Welt gar die beste heisst. Solche nenne ich die Allgenügsamen.

    Allgenügsamkeit, die Alles zu schmecken weiss: das ist nicht der beste Geschmack! Ich ehre die widerspänstigen wählerischen Zungen und Mägen, welche »Ich« und »Ja« und »Nein« sagen lernten.

    Alles aber kauen und verdauen – das ist eine rechte Schweine-Art! Immer I-a sagen – das lernte allein der Esel, und wer seines Geistes ist! –

    Das tiefe Gelb und das heisse Roth: so will es mein Geschmack, – der mischt Blut zu allen Farben. Wer aber sein Haus weiss tüncht, der verräth mir eine weissgetünchte Seele.

    In Mumien verliebt die Einen, die Andern in Gespenster; und Beide gleich feind allem Fleisch und Blute – oh wie gehen Beide mir wider den Geschmack! Denn ich liebe Blut.

    Und dort will ich nicht wohnen und weilen, wo Jedermann spuckt und speit: das ist nun mein Geschmack, – lieber noch lebte ich unter Dieben und Meineidigen. Niemand trägt Gold im Munde.

    Widriger aber sind mir noch alle Speichellecker; und das widrigste Thier von Mensch, das ich fand, das taufte ich Schmarotzer: das wollte nicht lieben und doch von Liebe leben.

    Unselig heisse ich Alle, die nur Eine Wahl haben: böse Thiere zu werden oder böse Thierbändiger: bei Solchen würde ich mir keine Hütten bauen.

    Unselig heisse ich auch Die, welche immer warten müssen, – die gehen mir wider den Geschmack: alle die Zöllner und Krämer und Könige und andren Länder- und Ladenhüter.

    Wahrlich, ich lernte das Warten auch und von Grund aus,

    – aber nur das Warten auf mich. Und über Allem lernte ich stehn und gehn und laufen und springen und klettern und tanzen.

    Das ist aber meine Lehre: wer einst fliegen lernen will, der muss erst stehn und gehn und laufen und klettern und tanzen lernen: – man erfliegt das Fliegen nicht!

    Mit Strickleitern lernte ich manches Fenster erklettern, mit hurtigen Beinen klomm ich auf hohe Masten: auf hohen Masten der Erkenntniss sitzen dünkte mich keine geringe Seligkeit, –

    – gleich kleinen Flammen flackern auf hohen Masten: ein kleines Licht zwar, aber doch ein grosser Trost für verschlagene Schiffer und Schiffbrüchige! –

    Auf vielerlei Weg und Weise kam ich zu meiner Wahrheit; nicht auf Einer Leiter stieg ich zur Höhe, wo mein Auge in meine Ferne schweift.

    Und ungern nur fragte ich stets nach Wegen, – das gieng mir immer wider den Geschmack! Lieber fragte und versuchte ich die Wege selber.

    Ein Versuchen und Fragen war all mein Gehen: – und wahrlich, auch antworten muss man lernen auf solches Fragen! Das aber – ist mein Geschmack:

    – kein guter, kein schlechter, aber mein Geschmack, dessen ich weder Scham noch Hehl mehr habe.

    »Das – ist nun mein Weg, – wo ist der eure?« so antwortete ich Denen, welche mich »nach dem Wege« fragten. Den Weg nämlich – den giebt es nicht!

    Also sprach Zarathustra.

                                     Von alten und neuen Tafeln
                                                           1

    Hier sitze ich und warte, alte zerbrochene Tafeln um mich und auch neue halb beschriebene Tafeln. Wann kommt meine Stunde?

    – die Stunde meines Niederganges, Unterganges: denn noch Ein Mal will ich zu den Menschen gehn.

    Dess warte ich nun: denn erst müssen mir die Zeichen kommen, dass es meine Stunde sei, – nämlich der lachende Löwe mit dem Taubenschwarme.

    Inzwischen rede ich als Einer, der Zeit hat, zu mir selber. Niemand erzählt mir Neues: so erzähle ich mir mich selber. –

                                                           2

    Als ich zu den Menschen kam, da fand ich sie sitzen auf einem alten Dünkel: Alle dünkten sich lange schon zu wissen, was dem Menschen gut und böse sei.

    Eine alte müde Sache dünkte ihnen alles Reden von Tugend; und wer gut schlafen wollte, der sprach vor Schlafengehen noch von »Gut« und »Böse«.

    Diese Schläferei störte ich auf, als ich lehrte: was gut und böse ist, das weiss noch Niemand: – es sei denn der Schaffende!

    – Das aber ist Der, welcher des Menschen Ziel schafft und der Erde ihren Sinn giebt und ihre Zukunft: Dieser erst schafft es, dass Etwas gut und böse ist.

    Und ich hiess sie ihre alten Lehr-Stühle umwerfen, und wo nur jener alte Dünkel gesessen hatte; ich hiess sie lachen über ihre grossen Tugend-Meister und Heiligen und Dichter und Welt-Erlöser.

    Über ihre düsteren Weisen hiess ich sie lachen, und wer je als schwarze Vogelscheuche warnend auf dem Baume des Lebens gesessen hatte.

    An ihre grosse Gräberstrasse setzte ich mich und selber zu Aas und Geiern – und ich lachte über all ihr Einst und seine mürbe verfallende Herrlichkeit.

    Wahrlich, gleich Busspredigern und Narrn schrie ich Zorn und Zeter über all ihr Grosses und Kleines –, dass ihr Bestes so gar klein ist! Dass ihr Bösestes so gar klein ist! – also lachte ich.

    Meine weise Sehnsucht schrie und lachte also aus mir, die auf Bergen geboren ist, eine wilde Weisheit wahrlich! – meine grosse flügelbrausende Sehnsucht.

    Und oft riss sie mich fort und hinauf und hinweg und mitten im Lachen: da flog ich wohl schaudernd, ein Pfeil, durch sonnentrunkenes Entzücken:

    – hinaus in ferne Zukünfte, die kein Traum noch sah, in heissere Süden, als je sich Bildner träumten: dorthin, wo Götter tanzend sich aller Kleider schämen: –

    – dass ich nämlich in Gleichnissen rede und gleich Dichtern hinke und stammle: und wahrlich, ich schäme mich, dass ich noch Dichter sein muss! –

    Wo alles Werden mich Götter-Tanz und Götter-Muthwillen dünkte, und die Welt los- und ausgelassen und zu sich selber zurückfliehend: –

    – als ein ewiges Sich-fliehn und –Wiedersuchen vieler Götter, als das selige Sich-Widersprechen, Sich-Wieder-hören, Sich-Wieder-Zugehören vieler Götter: –

    Wo alle Zeit mich ein seliger Hohn auf Augenblicke dünkte, wo die Nothwendigkeit die Freiheit selber war, die selig mit dem Stachel der Freiheit spielte: –

    Wo ich auch meinen alten Teufel und Erzfeind wiederfand, den Geist der Schwere und Alles, was er schuf: Zwang, Satzung, Noth und Folge und Zweck und Wille und Gut und Böse: –

    Denn muss nicht dasein, über das getanzt, hinweggetanzt werde? Müssen nicht um der Leichten, Leichtesten willen – Maulwürfe und schwere Zwerge dasein? – –

                                                           3

    Dort war's auch, wo ich das Wort »Übermensch« vom Wege auflas, und dass der Mensch Etwas sei, das überwunden werden müsse,

    – dass der Mensch eine Brücke sei und kein Zweck: sich selig preisend ob seines Mittags und Abends, als Weg zu neuen Morgenröthen:

    – das Zarathustra-Wort vom grossen Mittage, und was sonst ich über den Menschen aufhängte, gleich purpurnen zweiten Abendröthen.

    Wahrlich, auch neue Sterne liess ich sie sehn sammt neuen Nächten; und über Wolken und Tag und Nacht spannte ich noch das Lachen aus wie ein buntes Gezelt.

    Ich lehrte sie all mein Dichten und Trachten: in Eins zu dichten und zusammen zu tragen, was Bruchstück ist am Menschen und Räthsel und grauser Zufall, –

    – als Dichter, Räthselrather und Erlöser des Zufalls lehrte ich sie an der Zukunft schaffen, und Alles, das war –, schaffend zu erlösen.

    Das Vergangne am Menschen zu erlösen und alles »Es war« umzuschauen, bis der Wille spricht: »Aber so wollte ich es! So werde ich's wollen –«

    – Diess hiess ich ihnen Erlösung, Diess allein lehrte ich sie Erlösung heissen. – –

    Nun warte ich meiner Erlösung –, dass ich zum letzten Male zu ihnen gehe.

    Denn noch Ein Mal will ich zu den Menschen: unter ihnen will ich untergehen, sterbend will ich ihnen meine reichste Gabe geben!

    Der Sonne lernte ich Das ab, wenn sie hinabgeht, die Überreiche: Gold schüttet sie da in's Meer aus unerschöpflichem Reichthume, –

    – also, dass der ärmste Fischer noch mit goldenem Ruder rudert! Diess nämlich sah ich einst und wurde der Thränen nicht satt im Zuschauen. – –

    Der Sonne gleich will auch Zarathustra untergehn: nun sitzt er hier und wartet, alte zerbrochne Tafeln um sich und auch neue Tafeln, – halbbeschriebene.

                                                           4

    Siehe, hier ist eine neue Tafel: aber wo sind meine Brüder, die sie mit mir zu Thale und in fleischerne Herzen tragen? –

    Also heischt es meine grosse Liebe zu den Fernsten: schone deinen Nächsten nicht! Der Mensch ist Etwas, das überwunden werden muss.

    Es giebt vielerlei Weg und Weise der Überwindung.- da siehe du zu! Aber nur ein Possenreisser denkt: »der Mensch kann auch übersprungen werden.«

    Überwinde dich selber noch in deinem Nächsten: und ein Recht, das du dir rauben kannst, sollst du dir nicht geben lassen!

    Was du thust, das kann dir Keiner wieder thun. Siehe, es giebt keine Vergeltung.

    Wer sich nicht befehlen kann, der soll gehorchen. Und Mancher kann sich befehlen, aber da fehlt noch Viel, dass er sich auch gehorche!

                                                           5

    Also will es die Art edler Seelen: sie wollen Nichts umsonst haben, am wenigsten das Leben.

    Wer vom Pöbel ist, der will umsonst leben; wir Anderen aber, denen das Leben sich gab, – wir sinnen immer darüber, was wir am besten dagegen geben!

    Und wahrlich, diess ist eine vornehme Rede, welche spricht: »was uns das Leben verspricht, das wollen wir – dem Leben halten!«

    Man soll nicht geniessen wollen, wo man nicht zu geniessen giebt. Und – man soll nicht geniessen wollen!

    Genuss und Unschuld nämlich sind die schamhaftesten Dinge: Beide wollen nicht gesucht sein. Man soll sie haben –, aber man soll eher noch nach Schuld und Schmerzen suchen! –

                                                           6

    Oh meine Brüder, wer ein Erstling ist, der wird immer geopfert. Nun aber sind wir Erstlinge.

    Wir bluten Alle an geheimen Opfertischen, wir brennen und braten Alle zu Ehren alter Götzenbilder.

    Unser Bestes ist noch jung: das reizt alte Gaumen. Unser Fleisch ist zart, unser Fell ist nur ein Lamm-Fell: – wie sollten wir nicht alte Götzenpriester reizen!

    In uns selber wohnt er noch, der alte Götzenpriester, der unser Bestes sich zum Schmause brät. Ach, meine Brüder, wie sollten Erstlinge nicht Opfer sein!

    Aber so will es unsre Art; und ich liebe Die, welche sich nicht bewahren wollen. Die Untergehenden liebe ich mit meiner ganzen Liebe: denn sie gehn hinüber. –

                                                           7

    Wahr sein – das können Wenige! Und wer es kann, der will es noch nicht! Am wenigsten aber können es die Guten.

    Oh diese Guten! – Gute Menschen reden nie die Wahrheit; für den Geist ist solchermaassen gut sein eine Krankheit.

    Sie geben nach, diese Guten, sie ergeben sich, ihr Herz spricht nach, ihr Grund gehorcht; wer aber gehorcht, der hört sich selber nicht!

    Alles, was den Guten böse heisst, muss zusammen kommen, dass Eine Wahrheit geboren werde: oh meine Brüder, seid ihr auch böse genug zu dieser Wahrheit?

    Das verwegene Wagen, das lange Misstrauen, das grausame Nein, der Überdruss, das Schneiden in's Lebendige – wie selten kommt das zusammen! Aus solchem Samen aber wird Wahrheit gezeugt!

    Neben dem bösen Gewissen wuchs bisher alles Wissen! Zerbrecht, zerbrecht mir, ihr Erkennenden, die alten Tafeln!

                                                           8

    Wenn das Wasser Balken hat, wenn Stege und Geländer über den Fluss springen: wahrlich, da findet Keiner Glauben, der da spricht: »Alles ist im Fluss.«

    Sondern selber die Tölpel widersprechen ihm. »Wie? sagen die Tölpel, Alles wäre im Flusse? Balken und Geländer sind doch über dem Flusse!«

    » Über dem Flusse ist Alles fest, alle die Werthe der Dinge, die Brücken, Begriffe, alles »Gut« und »Böse«: das ist Alles fest!« –

    Kommt gar der harte Winter, der Fluss-Thierbändiger: dann lernen auch die Witzigsten Misstrauen; und, wahrlich, nicht nur die Tölpel sprechen dann: »Sollte nicht Alles – stille stehn?«

    »Im Grunde steht Alles stille« –, das ist eine rechte Winter-Lehre, ein gut Ding für unfruchtbare Zeit, ein guter Trost für Winterschläfer und Ofenhocker.

    »Im Grund steht Alles still« –: dagegen aber predigt der Thauwind!

    Der Thauwind, ein Stier, der kein pflügender Stier ist, – ein wüthender Stier, ein Zerstörer, der mit zornigen Hörnern Eis bricht! Eis aber – – bricht Stege!

    Oh meine Brüder, ist jetzt nicht Alles im Flusse? Sind nicht alle Geländer und Stege in's Wasser gefallen? Wer hielte sich noch an »Gut« und »Böse«?

    »Wehe uns! Heil uns! Der Thauwind weht!« – Also predigt mir, oh meine Brüder, durch alle Gassen!

                                                           9

    Es giebt einen alten Wahn, der heisst Gut und Böse. Um Wahrsager und Sterndeuter drehte sich bisher das Rad dieses Wahns.

    Einst glaubte man an Wahrsager und Sterndeuter: und darum glaubte man »Alles ist Schicksal: du sollst, denn du musst!«

    Dann wieder misstraute man allen Wahrsagern und Sterndeutern: und darum glaubte man »Alles ist Freiheit: du kannst, denn du willst!«

    Oh meine Brüder, über Sterne und Zukunft ist bisher nur gewähnt, nicht gewusst worden: und darum ist über Gut und Böse bisher nur gewähnt, nicht gewusst worden!

                                                           10

    »Du sollst nicht rauben! Du sollst nicht todtschlagen!« – solche Worte hiess man einst heilig; vor ihnen beugte man Knie und Köpfe und zog die Schuhe aus.

    ber ich frage euch: wo gab es je bessere Räuber und Todtschläger in der Welt, als es solche heilige Worte waren?

    Ist in allem Leben selber nicht – Rauben und Todtschlagen? Und dass solche Worte heilig hiessen, wurde damit die Wahrheit selber nicht – todtgeschlagen?

    Oder war es eine Predigt des Todes, dass heilig hiess, was allem Leben widersprach und widerrieth? – Oh meine Brüder, zerbrecht, zerbrecht mir die alten tafeln!

                                                           11

    Diess ist mein Mitleid mit allem Vergangenen, dass ich sehe: es ist preisgegeben, –

    – der Gnade, dem Geiste, dem Wahnsinne jedes Geschlechtes preisgegeben, das kommt und Alles, was war, zu seiner Brücke umdeutet!

    Ein grosser Gewalt-Herr könnte kommen, ein gewitzter Unhold, der mit seiner Gnade und Ungnade alles Vergangene zwänge und zwängte: bis es ihm Brücke würde und Vorzeichen und Herold und Hahnenschrei.

    Diess aber ist die andre Gefahr und mein andres Mitleiden: – wer vom Pöbel ist, dessen Gedenken geht zurück bis zum Grossvater, – mit dem Grossvater aber hört die Zeit auf.

    Also ist alles Vergangene preisgegeben: denn es könnte einmal kommen, dass der Pöbel Herr würde und in seichten Gewässern alle Zeit ertränke.

    Darum, oh meine Brüder, bedarf es eines neuen Adels, der allem Pöbel und allem Gewalt-Herrischen Widersacher ist und auf neue Tafeln neu das Wort schreibt »edel«.

    Vieler Edlen nämlich bedarf es und vielerlei Edlen, dass es Adel gebe! Oder, wie ich einst im Gleichniss sprach: »Das eben ist Göttlichkeit, dass es Götter, aber keinen Gott giebt!«

                                                           12

    Oh meine Brüder, ich weihe und weise euch zu einem neuen Adel: ihr sollt mir Zeuger und Züchter werden und Säemänner der Zukunft, –

    – wahrlich, nicht zu einem Adel, den ihr kaufen könntet gleich den Krämern und mit Krämer-Golde: denn wenig Werth hat Alles, was seinen Preis hat.

    Nicht, woher ihr kommt, mache euch fürderhin eure Ehre, sondern wohin ihr geht! Euer Wille und euer Fuss, der über euch selber hinaus will, – das mache eure neue Ehre!

    Wahrlich nicht, dass ihr einem Fürsten gedient habt – was liegt noch an Fürsten! – oder dem, was steht, zum Bollwerk wurdet, dass es fester stünde!

    Nicht, dass euer Geschlecht an Höfen höfisch wurde, und ihr lerntet, bunt, einem Flamingo ähnlich, lange Stunden in flachen Teichen stehn.

    – Denn Stehen- können ist ein Verdienst bei Höflingen; und alle Höflinge glauben, zur Seligkeit nach dem Tode gehöre – Sitzen- dürfen! –

    Nicht auch, dass ein Geist, den sie heilig nennen, eure Vorfahren in gelobte Länder führte, die ich nicht lobe: denn wo der schlimmste aller Bäume wuchs, das Kreuz, – an dem Lande ist Nichts zu loben! –

    – und wahrlich, wohin dieser »heilige Geist« auch seine Ritter führte, immer liefen bei solchen Zügen – Ziegen und Gänse und Kreuz- und Querköpfe voran! –

    Oh meine Brüder, nicht zurück soll euer Adel schauen, sondern hinaus! Vertriebene sollt ihr sein aus allen Vater- und Urväterländern!

    Eurer Kinder Land sollt ihr lieben: diese Liebe sei euer neuer Adel, – das unentdeckte, im feinsten Meere! Nach ihm heisse ich eure Segel suchen und suchen!

    An euren Kindern sollt ihr gutmachen, dass ihr eurer Väter Kinder seid: alles Vergangene sollt ihr so erlösen! Diese neue Tafel stelle ich über euch!

                                                           13

    »Wozu leben? Alles ist eitel! Leben – das ist Stroh dreschen; Leben – das ist sich verbrennen und doch nicht warm werden.« –

    Solch alterthümliches Geschwätz gilt immer noch als »Weisheit«; dass es aber alt ist und dumpfig riecht, darum wird es besser geehrt. Auch der Moder adelt.

    Kinder durften so reden: die scheuen das Feuer, weil es sie brannte! Es ist viel Kinderei in den alten Büchern der Weisheit.

    Und wer immer »Stroh drischt«, wie sollte der auf das Dreschen lästern dürfen! Solchem Narren müsste man doch das Maul verbinden!

    Solche setzen sich zu Tisch und bringen Nichts mit, selbst den guten Hunger nicht: – und nun lästern sie »Alles ist eitel!«

    Aber gut essen und trinken, oh meine Brüder, ist wahrlich keine eitle Kunst! Zerbrecht, zerbrecht mir die Tafeln der Nimmer-Frohen!

                                                           14

    »Dem Reinen ist Alles rein« – so spricht das Volk. Ich aber sage euch: den Schweinen wird Alles Schwein!

    Darum predigen die Schwärmer und Kopfhänger, denen auch das Herz niederhängt: »die Welt selber ist ein kothiges Ungeheuer.«

    Denn diese Alle sind unsäuberlichen Geistes; sonderlich aber Jene, welche nicht Ruhe, noch Rast haben, es sei denn, sie sehen die Welt von hinten, – die Hinterweltler!

    Denen sage ich in's Gesicht, ob es gleich nicht lieblich klingt: die Welt gleicht darin dem Menschen, dass sie einen Hintern hat, – so Viel ist wahr!

    Es giebt in der Welt viel Koth: so Viel ist wahr! Aber darum ist die Welt selber noch kein kothiges Ungeheuer!

    Es ist Weisheit darin, dass Vieles in der Welt übel riecht: der Ekel selber schafft Flügel und quellenahnende Kräfte!

    An dem Besten ist noch Etwas zum Ekeln; und der Beste ist noch Etwas, das überwunden werden muss! –

    Oh meine Brüder, es ist viel Weisheit darin, dass viel Koth in der Welt ist! –

                                                           15

    Solche Sprüche hörte ich fromme Hinterweltler zu ihrem Gewissen reden; und wahrlich, ohne Arg und Falsch, – ob es Schon nichts Falscheres in der Welt giebt, noch Ärgeres.

    »Lass doch die Welt der Welt sein! Hebe dawider auch nicht Einen Finger auf!«

    »Lass, wer da wolle, die Leute würgen und stechen und schneiden und schaben: hebe dawider auch nicht Einen Finger auf! Darob lernen sie noch der Welt absagen.«

    »Und deine eigne Vernunft – die sollst du selber görgeln und würgen; denn es ist eine Vernunft von dieser Welt, – darob lernst du selber der Welt absagen.« –

    – Zerbrecht, zerbrecht mir, oh meine Brüder, diese alten Tafeln der Frommen! Zersprecht mir die Sprüche der Welt-Verleumder!

                                                           16

    »Wer viel lernt, der verlernt alles heftige Begehren« – das flüstert man heute sich zu auf allen dunklen Gassen.

    »Weisheit macht müde, es lohnt sich – Nichts; du sollst nicht begehren!« – diese neue Tafel fand ich hängen selbst auf offnen Märkten.

    Zerbrecht mir, oh meine Brüder, zerbrecht mir auch diese neue Tafel! Die Welt-Müden hängten sie hin und die Prediger des Todes, und auch die Stockmeister: denn seht, es ist auch eine Predigt zur Knechtschaft!

    Dass sie schlecht lernten und das Beste nicht, und Alles zu früh und Alles zu geschwind: dass sie schlecht assen, daher kam ihnen jener verdorbene Magen,

    – ein verdorbener Magen ist nämlich ihr Geist: der räth zum Tode! Denn wahrlich, meine Brüder, der Geist ist ein Magen!

    Das Leben ist ein Born der Lust: aber aus wem der verdorbene Magen redet, der Vater der Trübsal, dem sind alle Quellen vergiftet.

    Erkennen: das ist Lust dem Löwen-willigen! Aber wer müde wurde, der wird selber nur »gewollt«, mit dem spielen alle Wellen.

    Und so ist es immer schwacher Menschen Art: sie verlieren sich auf ihren Wegen. Und zuletzt fragt noch ihre Müdigkeit: »wozu giengen wir jemals Wege! Es ist Alles gleich!«

    Denen klingt es lieblich zu Ohren, dass gepredigt wird: »Es verlohnt sich Nichts! Ihr sollt nicht wollen!« Diess aber ist eine Predigt zur Knechtschaft.

    Oh meine Brüder, ein frischer Brause-Wind kommt Zarathustra allen Weg-Müden; viele Nasen wird er noch niesen machen!

    Auch durch Mauern bläst mein freier Athem, und hinein in Gefängnisse und eingefangne Geister!

    Wollen befreit: denn Wollen ist Schaffen: so lehre ich. Und nur zum Schaffen sollt ihr lernen!

    Und auch das Lernen sollt ihr erst von mir lernen, das Gut-Lernen! – Wer Ohren hat, der höre!

                                                           17

    Da steht der Nachen, – dort hinüber geht es vielleicht in's grosse Nichts. – Aber wer will in diess »Vielleicht« einsteigen?

    Niemand von euch will in den Todes-Nachen einsteigen! Wieso wollt ihr dann Welt-Müde sein!

    Weltmüde! Und noch nicht einmal Erd-Entrückte wurdet ihr! Lüstern fand ich euch immer noch nach Erde, verliebt noch in die eigne Erd-Müdigkeit!

    Nicht umsonst hängt euch die Lippe herab: – ein kleiner Erden-Wunsch sitzt noch darauf! Und im Auge – schwimmt da nicht ein Wölkchen unvergessner Erden-Lust?

    Es giebt auf Erden viel gute Erfindungen, die einen nützlich, die andern angenehm: derentwegen ist die Erde zu lieben.

    Und mancherlei so gut Erfundenes giebt es da, dass es ist wie des Weibes Busen: nützlich zugleich und angenehm.

    Ihr Welt-Müden aber! Ihr Erden-Faulen! Euch soll man mit Ruthen streichen! Mit Ruthenstreichen soll man euch wieder muntre Beine machen.

    Denn: seid ihr nicht Kranke und verlebte Wichte, deren die Erde müde ist, so seid ihr schlaue Faulthiere oder naschhafte verkrochene Lust-Katzen. Und wollt ihr nicht wieder lustig laufen, so sollt ihr – dahinfahren!

    An Unheilbaren soll man nicht Arzt sein wollen: also lehrt es Zarathustra: – so sollt ihr dahinfahren!

    Aber es gehört mehr Muth dazu, ein Ende zu machen, als einen neuen Vers: das wissen alle Ärzte und Dichter. –

                                                           18

    Oh meine Brüder, es giebt Tafeln, welche die Ermüdung, und Tafeln, welche die Faulheit schuf, die faulige: ob sie schon gleich reden, so wollen sie doch ungleich gehört sein. –

    Seht hier diesen Verschmachtenden! Nur eine Spanne weit ist er noch von seinem Ziele, aber vor Müdigkeit hat er sich trotzig hier in den Staub gelegt: dieser Tapfere!

    Vor Müdigkeit gähnt er Weg und Erde und Ziel und sich selber an: keinen Schritt will er noch weiter thun, – dieser Tapfere!

    Nun glüht die Sonne auf ihn, und die Hunde lecken nach seinem Schweisse: aber er liegt da in seinem Trotze und will lieber verschmachten: –

    – eine Spanne weit von seinem Ziele verschmachten! Wahrlich, ihr werdet ihn noch an den Haaren in seinen Himmel ziehen müssen, – diesen Helden!

    Besser noch, ihr lasst ihn liegen, wohin er sich gelegt hat, dass der Schlaf ihm komme, der Tröster, mit kühlendem Rausche-Regen:

    Lasst ihn liegen, bis er von selber wach wird, bis er von selber alle Müdigkeit widerruft und was Müdigkeit aus ihm lehrte!

    Nur, meine Brüder, dass ihr die Hunde von ihm scheucht, die faulen Schleicher, und all das schwärmende Geschmeiss: –

    – all das schwärmende Geschmeiss der »Gebildeten«, das sich am Schweisse jedes Helden – gütlich thut! –

                                                           19

    Ich schliesse Kreise um mich und heilige Grenzen; immer Wenigere steigen mit mir auf immer höhere Berge, – ich baue ein Gebirge aus immer heiligeren Bergen.

    Wohin ihr aber auch mit mir steigen mögt, oh meine Brüder: seht zu, dass nicht ein Schmarotzer mit euch steige!

    Schmarotzer: das ist ein Gewürm, ein kriechendes, geschmiegtes, das fett werden will an euren kranken wunden Winkeln.

    Und das ist seine Kunst, dass er steigende Seelen erräth, wo sie müde sind: in euren Gram und Unmuth, in eure zarte Scham baut er sein ekles Nest.

    Wo der Starke schwach, der Edle allzumild ist, – dahinein baut er sein ekles Nest: der Schmarotzer wohnt, wo der Grosse kleine wunde Winkel hat.

    Was ist die höchste Art alles Seienden und was die geringste? Der Schmarotzer ist die geringste Art; wer aber höchster Art ist, der ernährt die meisten Schmarotzer.

    Die Seele nämlich, welche die längste Leiter hat und am tiefsten hinunter kann: wie sollten nicht an der die meisten Schmarotzer sitzen? –

    – die umfänglichste Seele, welche am weitesten in sich laufen und irren und schweifen kann; die nothwendigste, welche sich aus Lust in den Zufall stürzt: –

    – die seiende Seele, welche in's Werden taucht; die habende, welche in's Wollen und Verlangen will: –

    – die sich selber fliehende, die sich selber im weitesten Kreise einholt; die weiseste Seele, welcher die Narrheit am süssesten zuredet: –

    – die sich selber liebendste, in der alle Dinge ihr Strömen und Wiederströmen und Ebbe und Fluth haben: – oh wie sollte die höchste Seele nicht die schlimmsten Schmarotzer haben?

                                                           20

    Oh meine Brüder, bin ich denn grausam? Aber ich sage: was fällt, das soll man auch noch stossen!

    Das Alles von Heute – das fällt, das verfällt: wer wollte es halten! Aber ich – ich will es noch stossen!

    Kennt ihr die Wollust, die Steine in steile Tiefen rollt? – Diese Menschen von heute: seht sie doch, wie sie in meine Tiefen rollen!

    Ein Vorspiel bin ich besserer Spieler, oh meine Brüder! Ein Beispiel! Thut nach meinem Beispiele!

    Und wen ihr nicht fliegen lehrt, den lehrt mir – schneller fallen! –

                                                           21

    Ich liebe die Tapferen: aber es ist nicht genug, Hau-Degen sein, – man muss auch wissen Hau-schau- Wen !

    Und oft ist mehr Tapferkeit darin, dass Einer an sich hält und vorübergeht: damit er sich dem würdigeren Feinde aufspare!

    Ich sollt nur Feinde haben, die zu hassen sind, aber nicht Feinde zum Verachten: ihr müsst stolz auf euren Feind sein: also lehrte ich schon Ein Mal.

    Dem würdigeren Feinde, oh meine Freunde, sollt ihr euch aufsparen: darum müsst ihr an Vielem vorübergehn, –

    – sonderlich an vielem Gesindel, das euch in die Ohren lärmt von Volk und Völkern.

    Haltet euer Auge rein von ihrem Für und Wider! Da giebt es viel Recht, viel Unrecht: wer da zusieht, wird zornig.

    Dreinschaun, dreinhaun – das ist da Eins: darum geht weg in die Wälder und legt euer Schwert schlafen!

    Geht eure Wege! Und lasst Volk und Völker die ihren gehn! – dunkle Wege wahrlich, auf denen auch nicht Eine Hoffnung mehr wetterleuchtet!

    Mag da der Krämer herrschen, wo Alles, was noch glänzt – Krämer-Gold ist! Es ist die Zeit der Könige nicht mehr: was sich heute Volk heisst, verdient keine Könige.

    Seht doch, wie diese Völker jetzt selber den Krämern gleich thun: sie lesen sich die kleinsten Vortheile noch aus jedem Kehricht!

    Sie lauern einander auf, sie lauern einander Etwas ab, – das heissen sie »gute Nachbarschaft.« Oh selige ferne Zeit, wo ein Volk sich sagte: »ich will über Völker – Herr sein!«

    Denn, meine Brüder: das Beste soll herrschen, das Beste will auch herrschen! Und wo die Lehre anders lautet, da – fehlt es am Besten.

                                                           22

    Wenn Die – Brod umsonst hätten, wehe! Wonach würden Die schrein! Ihr Unterhalt – das ist ihre rechte Unterhaltung; und sie sollen es schwer haben!

    Raubthiere sind es.- in ihrem »Arbeiten« – da ist auch noch Rauben, in ihrem »Verdienen« – da ist auch noch Überlisten! Darum sollen sie es schwer haben!

    Bessere Raubthiere sollen sie also werden, feinere, klügere, menschen-ähnlichere: der Mensch nämlich ist das beste Raubthier.

    Allen Thieren hat der Mensch schon ihre Tugenden abgeraubt: das macht, von allen Thieren hat es der Mensch am schwersten gehabt.

    Nur noch die Vögel sind über ihm. Und wenn der Mensch noch fliegen lernte, wehe! wohinauf – würde seine Raublust fliegen!

                                                           23

    So will ich Mann und Weib: kriegstüchtig den Einen, gebärtüchtig das Andre, beide aber tanztüchtig mit Kopf und Beinen.

    Und verloren sei uns der Tag, wo nicht Ein Mal getanzt wurde! Und falsch heisse uns jede Wahrheit, bei der es nicht Ein Gelächter gab!

                                                           24

    Euer Eheschliessen: seht zu, dass es nicht ein schlechtes Schliessen sei! Ihr schlosset zu schnell: so folgt daraus – Ehebrechen!

    Und besser noch Ehebrechen als Ehe-biegen, Ehelügen! – So sprach mir ein Weib: »wohl brach ich die Ehe, aber zuerst brach die Ehe – mich!«

    Schlimm-Gepaarte fand ich immer als die schlimmsten Rachsüchtigen: sie lassen es aller Welt entgelten, dass sie nicht mehr einzeln laufen.

    Desswillen will ich, dass Redliche zu einander reden: »wir lieben uns: lasst uns zusehn, dass wir uns lieb behalten! Oder soll unser Versprechen ein Versehen sein?«

    – »Gebt uns eine Frist und kleine Ehe, dass wir zusehn, ob wir zur grossen Ehe taugen! Es ist ein grosses Ding, immer zu Zwein sein!«

    Also rathe ich allen Redlichen; und was wäre denn meine Liebe zum Übermenschen und zu Allem, was kommen soll, wenn ich anders riethe und redete!

    Nicht nur fort euch zu pflanzen, sondern hinauf – dazu, oh meine Brüder, helfe euch der Garten der Ehe!

                                                           25

    Wer über alte Ursprünge weise wurde, siehe, der wird zuletzt nach Quellen der Zukunft suchen und nach neuen Ursprüngen. –

    Oh meine Brüder, es ist nicht über lange, da werden neue Völker entspringen und neue Quellen hinab in neue Tiefen rauschen.

    Das Erdbeben nämlich – das verschüttet viel Brunnen, das schafft viel Verschmachten: das hebt auch innre Kräfte und Heimlichkeiten an's Licht.

    Das Erdbeben macht neue Quellen offenbar. Im Erdbeben alter Völker brechen neue Quellen aus.

    Und wer da ruft: »Siehe hier ein Brunnen für viele Durstige, Ein Herz für viele Sehnsüchtige, Ein Wille für viele Werkzeuge«: – um den sammelt sich ein Volk, das ist: viel Versuchende.

    Wer befehlen kann, wer gehorchen muss – Das wird da versucht! Ach, mit welch langem Suchen und Rathen und Missrathen und Lernen und Neu-Versuchen!

    Die Menschen-Gesellschaft: die ist ein Versuch, so lehre ich's, – ein langes Suchen: sie sucht aber den Befehlenden! –

    – ein Versuch, oh meine Brüder! Und kein »Vertrag«! Zerbrecht, zerbrecht mir solch Wort der Weich-Herzen und Halb- und Halben!

                                                           26

    Oh meine Brüder! Bei Welchen liegt doch die grösste Gefahr aller Menschen-Zukunft? Ist es nicht bei den Guten und Gerechten? –

    – als bei Denen, die sprechen und im Herzen fühlen: »wir wissen schon, was gut ist und gerecht, wir haben es auch; wehe Denen, die hier noch suchen!« –

    Und was für Schaden auch die Bösen thun mögen: der Schaden der Guten ist der schädlichste Schaden!

    Und was für Schaden auch die Welt-Verleumder thun mögen: der Schaden der Guten ist der schädlichste Schaden.

    Oh meine Brüder, den Guten und Gerechten sah Einer einmal in's Herz, der da sprach: »es sind die Pharisäer.« Aber man verstand ihn nicht.

    Die Guten und Gerechten selber durften ihn nicht verstehen: ihr Geist ist eingefangen in ihr gutes Gewissen. Die Dummheit der Guten ist unergründlich klug.

    Das aber ist die Wahrheit: die Guten müssen Pharisäer sein, – sie haben keine Wahl!

    Die Guten müssen Den kreuzigen, der sich seine eigne Tugend erfindet! Das ist die Wahrheit!

    Der Zweite aber, der ihr Land entdeckte, Land, Herz und Erdreich der Guten und Gerechten: das war, der da fragte: »wen hassen sie am meisten?«

    Den Schaffenden hassen sie am meisten: den, der Tafeln bricht und alte Werthe, den Brecher – den heissen sie Verbrecher.

    Die Guten nämlich – die können nicht schaffen: die sind immer der Anfang vom Ende:-

    – sie kreuzigen Den, der neue Werthe auf neue Tafeln schreibt, sie opfern sich die Zukunft, – sie kreuzigen alle Menschen-Zukunft!

    Die Guten – die waren immer der Anfang vom Ende. –

                                                           27

    Oh meine Brüder, verstandet ihr auch diess Wort? Und was ich einst sagte vom »letzten Menschen«? – –

    Bei Welchen liegt die grösste Gefahr aller Menschen-Zukunft? Ist es nicht bei den Guten und Gerechten?

    Zerbrecht, zerbrecht mir die Guten und Gerechten! – Oh meine Brüder, verstandet ihr auch diess Wort?

                                                           28

    Ihr flieht von mir? Ihr seid erschreckt? Ihr zittert vor diesem Worte?

    Oh meine Brüder, als ich euch die Guten zerbrechen hiess und die Tafeln der Guten: da erst schiffte ich den Menschen ein auf seine hohe See.

    Und nun erst kommt ihm der grosse Schrecken, das grosse Um-sich-sehn, die grosse Krankheit, der grosse Ekel, die grosse See-Krankheit.

    Falsche Küsten und falsche Sicherheiten lehrten euch die Guten; in Lügen der Guten wart ihr geboren und geborgen. Alles ist in den Grund hinein verlogen und verbogen durch die Guten.

    Aber wer das Land »Mensch« entdeckte, entdeckte auch das Land »Menschen-Zukunft«. Nun sollt ihr mir Seefahrer sein, wackere, geduldsame!

    Aufrecht geht mir bei Zeiten, oh meine Brüder, lernt aufrecht gehn! Das Meer stürmt: Viele wollen an euch sich wieder aufrichten.

    Das Meer stürmt: Alles ist im Meere. Wohlan! Wohlauf! Ihr alten Seemanns-Herzen!

    Was Vaterland! Dorthin will unser Steuer, wo unser Kinder-Land ist! Dorthinaus, stürmischer als das Meer, stürmt unsre grosse Sehnsucht! –

                                                           29

    »Warum so hart! – sprach zum Diamanten einst die Küchen-Kohle; sind wir denn nicht Nah-Verwandte?« –

    Warum so weich? Oh meine Brüder, also frage ich euch: seid ihr denn nicht – meine Brüder?

    Warum so weich, so weichend und nachgebend? Warum ist so viel Leugnung, Verleugnung in eurem Herzen? So wenig Schicksal in eurem Blicke?

    Und wollt ihr nicht Schicksale sein und Unerbittliche: wie könntet ihr mit mir – siegen?

    Und wenn eure Härte nicht blitzen und scheiden und zerschneiden will: wie könntet ihr einst mit mir – schaffen?

    Die Schaffenden nämlich sind hart. Und Seligkeit muss es euch dünken, eure Hand auf Jahrtausende zu drücken wie auf Wachs, –

    – Seligkeit, auf dem Willen von Jahrtausenden zu schreiben wie auf Erz, – härter als Erz, edler als Erz. Ganz hart ist allein das Edelste.

    Diese neue Tafel, oh meine Brüder, stelle ich über euch: werdet hart! –

                                                           30

    Oh du mein Wille! Du Wende aller Noth du meine Nothwendigkeit! Bewahre mich vor allen kleinen Siegen!

    Du Schickung meiner Seele, die ich Schicksal heisse! Du-In-mir! Über-mir! Bewahre und spare mich auf zu Einem grossen Schicksale!

    Und deine letzte Grösse, mein Wille, spare dir für dein Letztes auf, – dass du unerbittlich bist in deinem Siege! Ach, wer unterlag nicht seinem Siege!

    Ach, wessen Auge dunkelte nicht in dieser trunkenen Dämmerung! Ach, wessen Fuss taumelte nicht und verlernte im Siege – stehen! –

    – Dass ich einst bereit und reif sei im grossen Mittage: bereit und reif gleich glühendem Erze, blitzschwangrer Wolke und schwellendem Milch-Euter: –

    – bereit zu mir selber und zu meinem verborgensten Willen: ein Bogen brünstig nach seinem Pfeile, ein Pfeil brünstig nach seinem Sterne: –

    – ein Stern bereit und reif in seinem Mittage, glühend, durchbohrt, selig vor vernichtenden Sonnen-Pfeilen: –

    – eine Sonne selber und ein unerbittlicher Sonnen-Wille, zum Vernichten bereit im Siegen!

    Oh Wille, Wende aller Noth, du meine Nothwendigkeit! Spare mich auf zu Einem grossen Siege! – –

    Also sprach Zarathustra.


                                               Der Genesende
                                                           1

    ines Morgens, nicht lange nach seiner Rückkehr zur Höhle, sprang Zarathustra von seinem Lager auf wie ein Toller, schrie mit furchtbarer Stimme und gebärdete sich, als ob noch Einer auf dem Lager läge, der nicht davon aufstehn wolle; und also tönte Zarathustra's Stimme, dass seine Thiere erschreckt hinzukamen, und dass aus allen Höhlen und Schlupfwinkeln, die Zarathustra's Höhle benachbart waren, alles Gethier davon huschte, – fliegend, flatternd, kriechend, springend, wie ihm nur die Art von Fuss und Flügel gegeben war. Zarathustra aber redete diese Worte:

    Herauf, abgründlicher Gedanke, aus meiner Tiefe! Ich bin dein Hahn und Morgen-Grauen, verschlafener Wurm: auf! auf! Meine Stimme soll dich schon wach krähen!

    Knüpfe die Fessel deiner Ohren los: horche! Denn ich will dich hören! Auf! Auf! Hier ist Donners genug, dass auch Gräber horchen lernen!

    Und wische den Schlaf und alles Blöde, Blinde aus deinen Augen! Höre mich auch mit deinen Augen: meine Stimme ist ein Heilmittel noch für Blindgeborne.

    Und bist du erst wach, sollst du mir ewig wach bleiben. Nicht ist das meine Art, Urgrossmütter aus dem Schlafe wecken, dass ich sie heisse – weiterschlafen!

    Du regst dich, dehnst dich, röchelst? Auf! Auf! Nicht röcheln – reden sollst du mir! Zarathustra ruft dich, der Gottlose!

    Ich, Zarathustra, der Fürsprecher des Lebens, der Fürsprecher des Leidens, der Fürsprecher des Kreises – dich rufe ich, meinen abgründlichsten Gedanken!

    Heil mir! Du kommst – ich höre dich! Mein Abgrund redet, meine letzte Tiefe habe ich an's Licht gestülpt!
Heil mir! Heran! Gieb die Hand – – ha! lass! Haha! – – Ekel, Ekel, Ekel – – – wehe mir!

                                                           2


    Kaum aber hatte Zarathustra diese Worte gesprochen, da stürzte er nieder gleich einem Todten und blieb lange wie ein Todter. Als er aber wieder zu sich kam, da war er bleich und zitterte und blieb liegen und wollte lange nicht essen noch trinken. Solches Wesen dauerte an ihm sieben Tage; seine Thiere verliessen ihn aber nicht bei Tag und Nacht, es sei denn, dass der Adler ausflog, Speise zu holen. Und was er holte und zusammenraubte, das legte er auf Zarathustra's Lager: also dass Zarathustra endlich unter gelben und rothen Beeren, Trauben, Rosenäpfeln, wohlriechendem Krautwerke und Pinien-Zapfen lag. Zu seinen Füssen aber waren zwei Lämmer gebreitet, welche der Adler mit Mühe ihren Hirten abgeraubt hatte.

    Endlich, nach sieben Tagen, richtete sich Zarathustra auf seinem Lager auf, nahm einen Rosenapfel in die Hand, roch daran und fand seinen Geruch lieblich. Da glaubten seine Thiere, die Zeit sei gekommen, mit ihm zu reden.

    »Oh Zarathustra, sagten sie, nun liegst du schon sieben Tage so, mit schweren Augen: willst du dich nicht endlich wieder auf deine Füsse stellen?

    Tritt hinaus aus deiner Höhle: die Welt wartet dein wie ein Garten. Der Wind spielt mit schweren Wohlgerüchen, die zu dir wollen; und alle Bäche möchten dir nachlaufen.

    Alle Dinge sehnen sich nach dir, dieweil du sieben Tage allein bliebst, – tritt hinaus aus deiner Höhle! Alle Dinge wollen deine Ärzte sein!

    Kam wohl eine neue Erkenntniss zu dir, eine saure, schwere? Gleich angesäuertem Teige lagst du, deine Seele gieng auf und schwoll über alle ihre Ränder. –«

    – Oh meine Thiere, antwortete Zarathustra, schwätzt also weiter und lasst mich zuhören! Es erquickt mich so, dass ihr schwätzt: wo geschwätzt wird, da liegt mir schon die Welt wie ein Garten.

    Wie lieblich ist es, dass Worte und Töne da sind: sind nicht Worte und Töne Regenbogen und Schein-Brücken zwischen Ewig-Geschiedenem?

    Zu jeder Seele gehört eine andre Welt; für jede Seele ist jede andre Seele eine Hinterwelt.

    Zwischen dem Ähnlichsten gerade lügt der Schein am schönsten; denn die kleinste Kluft ist am schwersten zu überbrücken.

    Für mich – wie gäbe es ein Ausser-mir? Es giebt kein Aussen! Aber das vergessen wir bei allen Tönen; wie lieblich ist es, dass wir vergessen!

    Sind nicht den Dingen Namen und Töne geschenkt, dass der Mensch sich an den Dingen erquicke? Es ist eine schöne Narrethei, das Sprechen: damit tanzt der Mensch über alle Dinge.

    Wie lieblich ist alles Reden und alle Lüge der Töne! Mit Tönen tanzt unsre Liebe auf bunten Regenbögen. –

    – »Oh Zarathustra, sagten darauf die Thiere, Solchen, die denken wie wir, tanzen alle Dinge selber: das kommt und reicht sich die Hand und lacht und flieht – und kommt zurück.

    Alles geht, Alles kommt zurück; ewig rollt das Rad des Seins. Alles stirbt, Alles blüht wieder auf, ewig läuft das Jahr des Seins.

    Alles bricht, Alles wird neu gefügt; ewig baut sich das gleiche Haus des Seins. Alles scheidet, Alles grüsst sich wieder; ewig bleibt sich treu der Ring des Seins.

    In jedem Nu beginnt das Sein; um jedes Hier rollt sich die Kugel Dort. Die Mitte ist überall. Krumm ist der Pfad der Ewigkeit.« –

    – Oh ihr Schalks-Narren und Drehorgeln! antwortete Zarathustra und lächelte wieder, wie gut wisst ihr, was sich in sieben Tagen erfüllen musste: –

    – und wie jenes Unthier mir in den Schlund kroch und mich würgte! Aber ich biss ihm den Kopf ab und spie ihn weg von mir.

    Und ihr, – ihr machtet schon ein Leier-Lied daraus? Nun aber liege ich da, müde noch von diesem Beissen und Wegspein, krank noch von der eigenen Erlösung.

    Und ihr schautet dem Allen zu? Oh meine Thiere, seid auch ihr grausam? Habt ihr meinem grossen Schmerze zuschaun wollen, wie Menschen thun? Der Mensch nämlich ist das grausamste Thier.

    Bei Trauerspielen, Stierkämpfen und Kreuzigungen ist es ihm bisher am wohlsten geworden auf Erden; und als er sich die Hölle erfand, siehe, da war das sein Himmel auf Erden.

    Wenn der grosse Mensch schreit –: flugs läuft der kleine hinzu; und die Zunge hängt ihm aus dem Halse vor Lüsternheit. Er aber heisst es sein »Mitleiden.«

    Der kleine Mensch, sonderlich der Dichter – wie eifrig klagt er das Leben in Worten an! Hört hin, aber überhört mir die Lust nicht, die in allem Anklagen ist!

    Solche Ankläger des Lebens: die überwindet das Leben mit einem Augenblinzeln. »Du liebst mich? sagt die Freche; warte noch ein Wenig, noch habe ich für dich nicht Zeit.«

    Der Mensch ist gegen sich selber das grausamste Thier; und bei Allem, was sich »Sünder« und »Kreuzträger« und »Büsser« heisst, überhört mir die Wollust nicht, die in diesem Klagen und Anklagen ist!

    Und ich selber – will ich damit des Menschen Ankläger sein? Ach, meine Thiere, Das allein lernte ich bisher, dass dem Menschen sein Bösestes nöthig ist zu seinem Besten, –

    – dass alles Böseste seine beste Kraft ist und der härteste Stein dem höchsten Schaffenden; und dass der Mensch besser und böser werden muss: –

    Nicht an diess Marterholz war ich geheftet, dass ich weiss: der Mensch ist böse, – sondern ich schrie, wie noch Niemand geschrien hat:

    »Ach dass sein Bösestes so gar klein ist! Ach dass sein Bestes so gar klein ist!«

    Der grosse Überdruss am Menschen – der würgte mich und war mir in den Schlund gekrochen: und was der Wahrsager wahrsagte: »Alles ist gleich, es lohnt sich Nichts, Wissen würgt.«

    Eine lange Dämmerung hinkte vor mir her, eine todesmüde, todestrunkene Traurigkeit, welche mit gähnendem Munde redete.

    »Ewig kehrt er wieder, der Mensch, dess du müde bist, der kleine Mensch« – so gähnte meine Traurigkeit und schleppte den Fuss und konnte nicht einschlafen.

    Zur Höhle wandelte sich mir die Menschen-Erde, ihre Brust sank hinein, alles Lebendige ward mir Menschen-Moder und Knochen und morsche Vergangenheit.

    Mein Seufzen sass auf allen Menschen-Gräbern und konnte nicht mehr aufstehn; mein Seufzen und Fragen unkte und würgte und nagte und klagte bei Tag und Nacht:

    – »ach, der Mensch kehrt ewig wieder! Der kleine Mensch kehrt ewig wieder!« –

    Nackt hatte ich einst Beide gesehn, den grössten Menschen und den kleinsten Menschen: allzuähnlich einander, – allzumenschlich auch den Grössten noch!

    Allzuklein der Grösste! – Das war mein Überdruss am Menschen! Und ewige Wiederkunft auch des Kleinsten! – Das war mein Überdruss an allem Dasein!

    Ach, Ekel! Ekel! Ekel! – – Also sprach Zarathustra und seufzte und schauderte; denn er erinnerte sich seiner Krankheit. Da liessen ihn aber seine Thiere nicht weiter reden.

    »Sprich nicht weiter, du Genesender! – so antworteten ihm seine Thiere, sondern geh hinaus, wo die Welt auf dich wartet gleich einem Garten.

    Geh hinaus zu den Rosen und Bienen und Taubenschwärmen! Sonderlich aber zu den Singe-Vögeln: dass du ihnen das Singen ablernst!

    Singen nämlich ist für Genesende; der Gesunde mag reden. Und wenn auch der Gesunde Lieder will, will er andre Lieder doch als der Genesende.«

    – »Oh ihr Schalks-Narren und Drehorgeln, so schweigt doch! – antwortete Zarathustra und lächelte über seine Thiere. Wie gut ihr wisst, welchen Trost ich mir selber in sieben Tagen erfand!

    Dass ich wieder singen müsse, – den Trost erfand ich mir und diese Genesung: wollt ihr auch daraus gleich wieder ein Leier-Lied machen?«

    – »Sprich nicht weiter, antworteten ihm abermals seine Thiere; lieber noch, du Genesender, mache dir erst eine Leier zurecht, eine neue Leier!

    Denn siehe doch, oh Zarathustra! Zu deinen neuen Liedern bedarf es neuer Leiern.

    Singe und brause über, oh Zarathustra, heile mit neuen Liedern deine Seele: dass du dein grosses Schicksal tragest, das noch keines Menschen Schicksal war!

    Denn deine Thiere wissen es wohl, oh Zarathustra, wer du bist und werden musst: siehe, du bist der Lehrer der ewigen Wiederkunft –, das ist nun dein Schicksal!

    Dass du als der Erste diese Lehre lehren musst, – wie sollte diess grosse Schicksal nicht auch deine grösste Gefahr und Krankheit sein!

    Siehe, wir wissen, was du lehrst: dass alle Dinge ewig wiederkehren und wir selber mit, und dass wir schon ewige Male dagewesen sind, und alle Dinge mit uns.

    Du lehrst, dass es ein grosses Jahr des Werdens giebt, ein Ungeheuer von grossem Jahre: das muss sich, einer Sanduhr gleich, immer wieder von Neuem umdrehn, damit es von Neuem ablaufe und auslaufe: –

    – so dass alle diese Jahre sich selber gleich sind, im Grössten und auch im Kleinsten, – so dass wir selber in jedem grossen Jahre uns selber gleich sind, im Grössten und auch im Kleinsten.

    Und wenn du jetzt sterben wolltest, oh Zarathustra: siehe, wir wissen auch, wie du da zu dir sprechen würdest: – aber deine Thiere bitten dich, dass du noch nicht sterbest!

    Du würdest sprechen und ohne Zittern, vielmehr aufathmend vor Seligkeit: denn eine grosse Schwere und Schwüle wäre von dir genommen, du Geduldigster! –

    »Nun sterbe und schwinde ich, würdest du sprechen, und im Nu bin ich ein Nichts. Die Seelen sind so sterblich wie die Leiber.

    Aber der Knoten von Ursachen kehrt wieder, in den ich verschlungen bin, – der wird mich wieder schaffen! Ich selber gehöre zu den Ursachen der ewigen Wiederkunft.

    Ich komme wieder, mit dieser Sonne, mit dieser Erde, mit diesem Adler, mit dieser Schlange – nicht zu einem neuen Leben oder besseren Leben oder ähnlichen Leben:

    – ich komme ewig wieder zu diesem gleichen und selbigen Leben, im Grössten und auch im Kleinsten, dass ich wieder aller Dinge ewige Wiederkunft lehre, –

    – dass ich wieder das Wort spreche vom grossen Erden- und Menschen-Mittage, dass -ich wieder den Menschen den Übermenschen künde.

    Ich sprach mein Wort, ich zerbreche an meinem Wort: so will es mein ewiges Loos –, als Verkündiger gehe ich zu Grunde!

    Die Stunde kam nun, dass der Untergehende sich selber segnet. Also- endet Zarathustra's Untergang.« – –

    Als die Thiere diese Worte gesprochen hatten, schwiegen sie und warteten, dass Zarathustra Etwas zu ihnen sagen werde: aber Zarathustra hörte nicht, dass sie schwiegen. Vielmehr lag er still, mit geschlossenen Augen, einem Schlafenden ähnlich, ob er schon nicht schlief: denn er unterredete sich eben mit seiner Seele. Die Schlange aber und der Adler, als sie ihn solchermaassen schweigsam fanden, ehrten die grosse Stille um ihn und machten sich behutsam davon.


                                     Von der grossen Sehnsucht

    Oh meine Seele, ich lehrte dich »Heute« sagen wie »Einst« und »Ehemals« und über alles Hier und Da und Dort deinen Reigen hinweg tanzen.

    Oh meine Seele, ich erlöste dich von allen Winkeln, ich kehrte Staub, Spinnen und Zwielicht von dir ab.

    Oh meine Seele, ich wusch die kleine Scham und die Winkel-Tugend von dir ab und überredete dich, nackt vor den Augen der Sonne zu stehn.

    Mit dem Sturme, welcher »Geist« heisst, blies ich über deine wogende See; alle Wolken blies ich davon, ich erwürgte selbst die Würgerin, die »Sünde« heisst.

    Oh meine Seele, ich gab dir das Recht, Nein zu sagen wie der Sturm und Ja zu sagen wie offner Himmel Ja sagt: still wie Licht stehst du und gehst du nun durch verneinende Stürme.

    Oh meine Seele, ich gab dir die Freiheit zurück über Erschaffnes und Unerschaffnes: und wer kennt, wie du sie kennst, die Wollust des Zukünftigen?

    Oh meine Seele, ich lehrte dich das Verachten, das nicht wie ein Wurmfrass kommt, das grosse, das liebende Verachten, welches am meisten liebt, wo es am meisten verachtet.

    Oh meine Seele, ich lehrte dich so überreden, dass du zu dir die Gründe selber überredest: der Sonne gleich, die das Meer noch zu seiner Höhe überredet.

    Oh meine Seele, ich nahm von dir alles Gehorchen Kniebeugen und Herr-Sagen; ich gab dir selber den Namen »Wende der Noth« und »Schicksal«.

    Oh meine Seele, ich gab dir neue Namen und bunte Spielwerke, ich hiess dich »Schicksal« und »Umfang der Umfänge« und »Nabelschnur der Zeit« und »azurne Glocke«.

    Oh meine Seele, deinem Erdreich gab ich alle Weisheit zu trinken, alle neuen Weine und auch alle unvordenklich alten starken Weine der Weisheit.

    Oh meine Seele, jede Sonne goss ich auf dich und jede Nacht und jedes Schweigen und jede Sehnsucht: – da wuchsest du mir auf wie ein Weinstock.

    Oh meine Seele, überreich und schwer stehst du nun da, ein Weinstock mit schwellenden Eutern und gedrängten braunen Gold-Weintrauben: –

    – gedrängt und gedrückt von deinem Glücke, wartend vor Überflusse und schamhaft noch ob deines Wartens.

    Oh meine Seele, es giebt nun nirgends eine Seele, die liebender wäre und umfangender und umfänglicher! Wo wäre Zukunft und Vergangnes näher beisammen als bei dir?

    Oh meine Seele, ich gab dir Alles, und alle meine Hände sind an dich leer geworden: – und nun! Nun sagst du mir lächelnd und voll Schwermuth: »Wer von uns hat zu danken? –

    – hat der Geber nicht zu danken, dass der Nehmende nahm? Ist Schenken nicht eine Nothdurft? Ist Nehmen nicht – Erbarmen?« –

    Oh meine Seele, ich verstehe das Lächeln deiner Schwermuth: dein Über-Reichthum selber streckt nun sehnende Hände aus!

    Deine Fülle blickt über brausende Meere hin und sucht und wartet; die Sehnsucht der Über-Fülle blickt aus deinem lächelnden Augen-Himmel!

    Und wahrlich, oh meine Seele! Wer sähe dein Lächeln und schmelze nicht vor Thränen? Die Engel selber schmelzen vor Thränen ob der Über-Güte deines Lächelns.

    Deine Güte und Über-Güte ist es, die nicht klagen und weinen will: und doch sehnt sich, oh meine Seele, dein Lächeln nach Thränen und dein zitternder Mund nach Schluchzen.

    »Ist alles Weinen nicht ein Klagen? Und alles Klagen nicht ein Anklagen?« Also redest du zu dir selber, und darum willst du, oh meine Seele, lieber lächeln, als dein Leid ausschütten.

    – in stürzende Thränen ausschütten all dein Leid über deine Fülle und über all die Drängniss des Weinstocks nach Winzer und Winzermesser!

    Aber willst du nicht weinen, nicht ausweinen deine purpurne Schwermuth, so wirst du singen müssen, oh meine Seele! – Siehe, ich lächle selber, der ich dir solches vorhersage:

    – singen, mit brausendem Gesange, bis alle Meere still werden, dass sie deiner Sehnsucht zuhorchen, –

    – bis über stille sehnsüchtige Meere der Nachen schwebt, das güldene Wunder, um dessen Gold alle guten schlimmen wunderlichen Dinge hüpfen: –

    – auch vieles grosse und kleine Gethier und Alles, was leichte wunderliche Füsse hat, dass es auf veilchenblauen Pfaden laufen kann, –

    – hin zu dem güldenen Wunder, dem freiwilligen Nachen und zu seinem Herrn: das aber ist der Winzer, der mit diamantenem Winzermesser wartet, –

    – dein grosser Löser, oh meine Seele, der Namenlose – – dem zukünftige Gesänge erst Namen finden! Und wahrlich, schon duftet dein Athem nach zukünftigen Gesängen, –

    – schon glühst du und träumst, schon trinkst du durstig an allen tiefen klingenden Trost-Brunnen, schon ruht deine Schwermuth in der Seligkeit zukünftiger Gesänge! – –

    Oh meine Seele, nun gab ich dir Alles und auch mein Letztes, und alle meine Hände sind an dich leer geworden: – dass ich dich singen hiess, siehe, das war mein Letztes!

    Dass ich dich singen hiess, sprich nun, sprich: wer von uns hat jetzt – zu danken? – Besser aber noch: singe mir, singe, oh meine Seele! Und mich lass danken! –

    Also sprach Zarathustra.



                                               Das andere Tanzlied
                                                           1

    »In dein Auge schaute ich jüngst, oh Leben: Gold sah ich in deinem Nacht-Auge blinken, – mein Herz stand still vor dieser Wollust:

    – einen goldenen Kahn sah ich blinken auf mächtigen Gewässern, einen sinkenden, trinkenden, wieder winkenden goldenen Schaukel-Kahn!

    Nach meinem Fusse, dem tanzwüthigen, warfst du einen Blick, einen lachenden fragenden schmelzenden Schaukel-Blick:

    Zwei Mal nur regtest du deine Klapper mit kleinen Händen – da schaukelte schon mein Fuss vor Tanz-Wuth. –

    Meine Fersen bäumten sich, meine Zehen horchten, dich zu verstehen: trägt doch der Tänzer sein Ohr – in seinen Zehen!

    Zu dir hin sprang ich: da flohst du zurück vor meinem Sprunge; und gegen mich züngelte deines fliehenden fliegenden Haars Zunge!

    Von dir weg sprang ich und von deinen Schlangen: da standst du schon, halbgewandt, das Auge voll Verlangen.

    Mit krummen Blicken – lehrst du mich krumme Bahnen; auf krummen Bahnen lernt mein Fuss – Tücken!

    Ich fürchte dich Nahe, ich liebe dich Ferne; deine Flucht lockt mich, dein Suchen stockt mich: – ich leide, aber was litt ich um dich nicht gerne!

    Deren Kälte zündet, deren Hass verführt, deren Flucht bindet, deren Spott – rührt:

    – wer hasste dich nicht, dich grosse Binderin, Umwinderin, Versucherin, Sucherin, Finderin! Wer liebte dich nicht, dich unschuldige, ungeduldige, windseilige, kindsäugige Sünderin!

    Wohin ziehst du mich jetzt, du Ausbund und Unband? Und jetzt fliehst du mich wieder, du süsser Wildfang und Undank!

    Ich tanze dir nach, ich folge dir auch auf geringer Spur. Wo bist du? Gieb mir die Hand! Oder einen Finger nur!

    Hier sind Höhlen und Dickichte: wir werden uns verirren! – Halt! Steh still! Siehst du nicht Eulen und Fledermäuse schwirren?

    Du Eule! Du Fledermaus! Du willst mich äffen? Wo sind wir? Von den Hunden lerntest du diess Heulen und Kläffen.

    Du fletschest mich lieblich an mit weissen Zähnlein, deine bösen Augen springen gegen mich aus lockichtem Mähnlein!

    Das ist ein Tanz über Stock und Stein: ich bin der Jäger, – willst du mein Hund oder meine Gemse sein?

    Jetzt neben mir! Und geschwind, du boshafte Springerin! Jetzt hinauf! Und hinüber! – Wehe! Da fiel ich selber im Springen hin!

    Oh sieh mich liegen, du Übermuth, und um Gnade flehn! Gerne möchte ich mit dir – lieblichere Pfade gehn!

    – der Liebe Pfade durch stille bunte Büsche! Oder dort den See entlang: da schwimmen und tanzen Goldfische!

    Du bist jetzt müde? Da drüben sind Schafe und Abendröthen: ist es nicht schön, zu schlafen, wenn Schäfer flöten?

    Du bist so arg müde? Ich trage dich hin, lass nur die Arme sinken! Und hast du Durst, – ich hätte wohl Etwas, aber dein Mund will es nicht trinken! –

    – Oh diese verfluchte flinke gelenke Schlange und Schlupf-Hexe! Wo bist du hin? Aber im Gesicht fühle ich von deiner Hand zwei Tupfen und rothe Klexe!

    Ich bin es wahrlich müde, immer dein schafichter Schäfer zu sein! Du Hexe, habe ich dir bisher gesungen, nun sollst du mir – schrein!

    Nach dem Takt meiner Peitsche sollst du mir tanzen und schrein! Ich vergass doch die Peitsche nicht? – Nein!« –

                                                           2

    Da antwortete mir das Leben also und hielt sich dabei die zierlichen Ohren zu:

    »Oh Zarathustra! Klatsche doch nicht so fürchterlich mit deiner Peitsche! Du weisst es ja: Lärm mordet Gedanken, – und eben kommen mir so zärtliche Gedanken.

    Wir sind Beide zwei rechte Thunichtgute und Thunichtböse. Jenseits von Gut und Böse fanden wir unser Eiland und unsre grüne Wiese – wir Zwei allein! Darum müssen wir schon einander gut sein!

    Und lieben wir uns auch nicht von Grund aus –, muss man sich denn gram sein, wenn man sich nicht von Grund aus liebt?

    Und dass ich dir gut bin und oft zu gut, Das weisst du: und der Grund ist, dass ich auf deine Weisheit eifersüchtig bin. Ah, diese tolle alte Närrin von Weisheit!

    Wenn dir deine Weisheit einmal davonliefe, ach! da liefe dir schnell auch meine Liebe noch davon.« –

    Darauf blickte das Leben nachdenklich hinter sich und um sich und sagte leise: »Oh Zarathustra, du bist mir nicht treu genug!

    Du liebst mich lange nicht so sehr wie du redest; ich weiss, du denkst daran, dass du mich bald verlassen willst.

    Es giebt eine alte schwere schwere Brumm-Glocke: die brummt Nachts bis zu deiner Höhle hinauf: –

    – hörst du diese Glocke Mitternachts die Stunde schlagen, so denkst du zwischen Eins und Zwölf daran –

    – du denkst daran, oh Zarathustra, ich weiss es, dass du mich bald verlassen willst!« –

    »Ja, antwortete ich zögernd, aber du weisst es auch –« Und ich sagte ihr Etwas in's Ohr, mitten hinein zwischen ihre verwirrten gelben thörichten Haar-Zotteln.

    Du weisst Das, oh Zarathustra? Das weiss Niemand. – –

    Und wir sahen uns an und blickten auf die grüne Wiese, über welche eben der kühle Abend lief, und weinten mit einander. – Damals aber war mir das Leben lieber, als je alle meine Weisheit. –

    Also sprach Zarathustra.

                                                           3


                                                           Eins!

    Oh Mensch! Gieb Acht!

                                                           Zwei!

    Was spricht die tiefe Mitternacht?

                                                           Drei!

    »Ich schlief, ich schlief –,

                                                           Vier!

    »Auf tiefen Traum bin ich erwacht:-

                                                           Fünf!

    »Die Welt ist tief,

                                                           Sechs!

    »Und tiefer als der Tag gedacht.

                                                           Sieben!

    »Tief ist ihr Weh –,

                                                           Acht!

    »Lust – tiefer noch als Herzeleid:

                                                           Neun!

    »Weh spricht: Vergeh!

                                                           Zehn!

    »Doch alle Lust will Ewigkeit –,

                                                           Elf!

    »- will tiefe, tiefe Ewigkeit!

                                                           Zwölf!