Friedrich Schiller
Don Carlos, Infant von Spanien - Kapitel 22
                                             Dritter Auftritt.
                               Carlos und Marquis von Posa.

Carlos (nachdem der Herzog hinaus ist, voll Erwartung und Erstaunen zum Marquis).
Was ist aber das?
Erkläre mir's. Bist du denn nicht Minister?

Marquis.
Ich bin's gewesen, wie du siehst.
(Auf ihn zugehend, mit großer Bewegung.)
O Carl,
Es hat gewirkt. Es hat. Es ist gelungen.
Jetzt ist's gethan. Gepriesen sei die Allmacht,
Die es gelingen ließ!

Carlos.
Gelingen? Was?
Ich fasse deine Worte nicht.

Marquis (ergreift seine Hand).
Du bist
Gerettet, Carl – bist frei – und ich – (Er hält inne.)

Carlos.
Und du?
Marquis.
Und ich – ich drücke dich an meine Brust
Zum ersten Mal mit vollem, ganzem Rechte;
Ich hab' es ja mit Allem, Allem, was
Mir theuer ist, erkauft – O Carl, wie süß,
Wie groß ist dieser Augenblick! Ich bin
Mit mir zufrieden.

Carlos.
Welche plötzliche
Veränderung in deinen Zügen? So
Hab' ich dich nie gesehen. Stolzer hebt
Sich deine Brust, und deine Blicke leuchten.

Marquis.
Wir müssen Abschied nehmen, Carl. Erschrick nicht.
O, sei ein Mann. Was du auch hören wirst,
Versprich mir, Carl, nicht durch unbänd'gen Schmerz,
Unwürdig großer Seelen, diese Trennung
Mir zu erschweren – du verlierst mich, Carl –
Auf viele Jahre – Thoren nennen es
Auf ewig.

(Carlos zieht seine Hand zurück, sieht ihn starr an und antwortet nichts.)

Sei ein Mann. Ich habe sehr
Auf dich gerechnet, hab' es nicht vermieden,
Die bange Stunde mit dir auszuhalten,
Die man die letzte schrecklich nennt – Ja, soll
Ich dir's gestehen, Carl? – ich habe mich
Darauf gefreut – Komm, laß uns niedersitzen –
Ich fühle mich erschöpft und matt.
(Er rückt nahe an Carlos, der noch immer in einer todten Erstarrung ist und sich unwillkürlich von ihm niederziehen läßt.)

Wo bist du?
Du gibst mir keine Antwort? – Ich will kurz sein.
Den Tag nachher, als wir zum letzten Mal
Bei den Karthäusern uns gesehn, ließ mich
Der König zu sich fordern. Den Erfolg
Weißt du, weiß ganz Madrid. Das weiß du nicht,
Daß dein Geheimniß ihm verrathen worden,
Daß Briefe, in der Königin Schatulle
Gefunden, wider dich gezeugt, daß ich
Aus seinem eignen Munde dies erfahren,
Und daß – ich sein Vertrauter war.

(Er hält inne, Carlos' Antwort zu erfahren; dieser verharrt in seinem Stillschweigen.)

Mit meinen Lippen brach ich meine Treue.
Ich selbst regierte das Komplott, das dir
Den Untergang bereitete. Zu laut
Sprach schon die That. Dich frei zu sprechen, war
Zu spät. Mich seiner Rache zu versichern,
War Alles, was mir übrig blieb – und so
Ward ich dein Feind, dir kräftiger zu dienen.
– Du hörst mich nicht?

Carlos.
Ich höre. Weiter, weiter!
Marquis.
Bis hierher bin ich ohne Schuld. Doch bald
Verrathen mich die ungewohnten Strahlen
Der neuen königlichen Gunst. Der Ruf
Dringt bis zu dir, wie ich vorhergesehn.
Doch ich, von falscher Zärtlichkeit bestochen,
Von stolzem Wahn geblendet, ohne dich
Das Wagestück zu enden, unterschlage
Der Freundschaft mein gefährliches Geheimniß.
Das war die große Uebereilung! Schwer
Hab' ich gefehlt. Ich weiß es. Raserei
Was meine Zuversicht. Verzeih – sie war
Auf deiner Freundschaft Ewigkeit gegründet.

(Hier schweigt er. Carlos geht aus seiner Versteinerung in lebhafte Bewegung über.)

Was ich befürchtete, geschieht. Man läßt
Dich zittern vor erdichteten Gefahren.
Die Königin in ihrem Blut – das Schrecken
Des wiederhallenden Palastes – Lermas
Unglückliche Dienstfertigkeit – zuletzt
Mein unbegreifliches Verstummen, Alles
Bestürmt dein überraschtes Herz – Du wankst –
Gibst mich verloren – Doch, zu edel selbst,
An deines Freundes Redlichkeit zu zweifeln,
Schmückst du mit Größe seinen Abfall aus;
Nun erst wagst du, ihn treulos zu behaupten,
Weil du noch treulos ihn verehren darfst.
Verlassen von dem Einzigen, wirfst du
Der Fürstin Eboli durch in die Arme –
Unglücklicher! in eines Teufels Arme;
Denn diese war's, die dich verrieth. (Carlos steht auf.) Ich sehe
Dich dahin eilen. Eine schlimme Ahnung
Fliegt durch mein Herz. Ich folge dir. Zu spät.
Du liegst zu ihren Füßen. Das Geständniß
Floh über deine Lippen schon. Für dich
Ist keine Rettung mehr –

Carlos.
Nein, nein! Sie war
Gerührt. Du irrest dich. Gewiß war sie
Gerührt.

Marquis.
Da wird es Nacht vor meinen Sinnen.
Nichts – nichts – kein Ausweg – keine Hilfe – keine,
Im ganzen Umkreis der Natur! Verzweiflung
Macht mich zur Furie, zum Thier – ich setze
Den Dolch auf eines Weibes Brust – Doch jetzt –
Jetzt fällt ein Sonnenstrahl in meine Seele.
»Wenn ich den König irrte? Wenn es mir
Gelänge, selbst der Schuldige zu scheinen?
Wahrscheinlich oder nicht! – Für ihn genug,
Scheinbar genug für König Philipp, weil
Es übel ist. Es sei! ich will es wagen.
Vielleicht ein Donner, der so unverhofft
Ihn trifft, macht den Tyrannen stutzen – und
Was will ich mehr? Er überlegt, und Carl
Hat Zeit gewonnen, nach Brabant zu flüchten.«

Carlos.
Und das – das hättest du gethan?

Marquis.
Ich schreibe
An Wilhelm von Oranien, daß ich
Die Königin geliebt, daß mir's gelungen,
In dem Verdacht, der fälschlich dich gedrückt,
Des Königs Argwohn zu entgehn, daß ich
Durch den Monarchen selbst den Weg gefunden,
Der Königin mich frei zu nahn. Ich setze
Hinzu, daß ich entdeckt zu sein besorge,
Daß du, von meiner Leidenschaft belehrt,
Zur Fürstin Eboli geeilt, vielleicht
Durch ihre Hand die Königin zu warnen –
Daß ich dich hier gefangen nahm und nun,
Weil Alles doch verloren, Willens sei,
Nach Brüssel mich zu werfen – Diesen Brief –

Carlos (fällt ihm erschrocken ins Wort).
Hat du der Post doch nicht vertraut? Du weißt,
Daß alle Briefe nach Brabant und Flandern –

Marquis.
Dem König ausgeliefert werden – Wie
Die Sachen stehn, hat Taxis seine Pflicht
Bereits gethan.

Carlos.
Gott, so bin ich verloren!

Marquis.
Du? warum du?

Carlos.
Unglücklicher, und du
Bist mit verloren. Diesen ungeheuern
Betrug kann dir mein Vater nicht vergeben.
Nein! Den vergibt er nimmermehr.

Marquis.
Betrug?
Du bist zerstreut. Besinne dich. Wer sagt ihm,
Daß es Betrug gewesen?

Carlos (sieht ihm starr ins Gesicht).
Wer, fragst du?
Ich selbst. (Er will fort.)

Marquis.
Du rasest. Bleib zurück.

Carlos.
Weg, weg!
Um Gottes willen. Halte mich nicht auf.
Indem ich hier verweile, dingt er schon
Die Mörder.

Marquis.
Desto edler ist die Zeit.
Wir haben uns noch viel zu sagen.

Carlos.
Was?
Eh' er noch Alles –

(Er will wieder fort. Der Marquis nimmt ihn beim Arme und sieht ihn bedeutend an.)

Marquis.
Höre, Carlos – War
Ich auch so eilig, so gewissenhaft,
Da du für mich geblutet hast – ein Knabe?

Carlos (bleibt gerührt und voll Bewunderung vor ihm stehen).
O gute Vorsicht!

Marquis.
Rette dich für Flandern!
Das Königreich ist dein Beruf. Für dich
Zu sterben, war der meinige.

Carlos (geht auf ihn zu und nimmt ihn bei der Hand, voll der innigsten Empfindung).
Nein, nein!
Er wird – er kann nicht wiederstehn! So vieler
Erhabenheit nicht widerstehn! Ich will
Dich zu ihm führen. Arm in Arme wollen
Wir zu ihm gehen. Vater, will ich sagen,
Das hat ein Freund für seinen Freund gethan.
Es wird ihn rühren. Glaube mir, er ist
Nicht ohne Menschlichkeit, mein Vater. Ja!
Gewiß, es wird ihn rühren. Seine Augen werden
Von warmen Thränen übergehn, und dir
Und mir wird er verzeihn –

(Es geschieht ein Schuß durch die Gitterthüre. Carlos springt auf.)

Ha! wem galt das?

Marquis.
Ich glaube – mir. (Er sinkt nieder.)

Carlos (fällt mit einem Schrei des Schmerzes neben ihm zu Boden).
O himmlische
Barmherzigkeit!

Marquis (mit brechender Stimme).
Es ist geschwind – der König –
Ich hoffte – länger – Denk' auf deine Rettung –
Hörst du? – auf deine Rettung – deine Mutter
Weiß Alles – ich kann nicht mehr –

(Carlos bleibt wie todt bei dem Leichnam liegen. Nach einiger Zeit tritt der König herein, von vielen Granden begleitet, und fährt bei diesem Anblick betreten zurück. Eine allgemeine und tiefe Pause. Die Granden stellen sich in einen halben Kreis um diese Beiden und sehen wechselsweise auf den König und seinen Sohn. Dieser liegt noch ohne alle Zeichen des Lebens. – Der König betrachtet ihn mit nachdenklicher Stille.)